Das sprachliche Zeichen unter den anderen Zeichenarten

Da sprachliche Zeichen nur eine Art von Zeichen sind, die in der Natur vorkommen, ist es zweckmäßig, sie im Zusammenhang mit allen anderen Zeichenarten zu betrachten, um erst auf dieser Grundlage ihre Besonderheit zu erkennen. Seit dem Erscheinen des Cours de linguistique générale von Ferdinand de Saussure wird das sprachliche Zeichen bilateral aufgefasst, als Einheit von Zeichenform und Zeicheninhalt. Doch kann man in bestimmten Richtungen des Strukturalismus Auffassungen antreffen, dass als sprachliches Zeichen nur die Zeichenform, der Lautkörper, zu gelten habe. Diese Auffassung wird z. B. im amerikanischen Strukturalismus mit der Behauptung begründet, dass die Bedeutung ein psychisches Phänomen sei und daher nicht zum Gegenstand der Linguistik gehöre. Vertreter des europäischen Strukturalismus dagegen berufen sich gelegentlich auf den sogenannten „normalen Sprachgebrauch“, in dem das Wort „Zeichen“ sich nur auf den Lautkörper bezieht.

„Im normalen Sprachgebrauch findet man in der Regel eine unilaterale und nicht eine bilaterale Auffassung des Wortes (und des Zeichens). Denn der Terminus Wort bezieht sich in erster Linie auf den Lautkörper und über diesen erst in zweiter Linie auf die Bedeutung. Man spricht von Wörtern im Sinne von Wortkörpern, die eine Bedeutung tragen“ (K.Welcke in: Bondzio 1980, 79).

In der polnischen Linguistik wird die unilaterale Auffassung u.a. von Leon Zawadowski vertreten, der in diesem Zusammenhang von einem „fatalen Erbe der Theorie des bilateralen Zeichens, die außer im extremen Psychologismus überhaupt keinen Sinn hat,” spricht (Zawadowski 1966, 33).

Die Antwort auf die Frage bilateral oder unilateral hat nicht nur (erkenntnis)theoretischen Wert. Aus ihr ergeben sich auch praktische Konsequenzen für die Sprachbeschreibung, sowie in weiterer Konsequenz für die lexikografische Methodik der Wörterbuchautoren. Oft kann man in dieser Hinsicht eine Widersprüchlichkeit zwischen theoretischen Voraussetzungen und Beschreibungspraxis vorfinden. So bekennen sich Autoren mehr oder weniger explizit als Anhänger der bilateralen Auffassung, während in der Praxis ihrer Sprachbeschreibungen, z. B. in der Beschreibung der Polysemie, sie sich unreflektiert auf das unilaterale Konzept stützen. Polysemie ist nur möglich bei unilateraler Zeichenauffassung. Ein Wort hat zwei (mehrere) Bedeutungen heißt doch, dass der Wortkörper das sprachliche Zeichen ist, der diese beiden (mehreren) Bedeutungen zum Ausdruck bringt. Bei bilateraler Auffassung des Zeichens als Einheit von Form und Bedeutung hätten wir es mit zwei (mehreren) Wörtern zu tun, so dass von Polysemie nicht die Rede sein könnte.

Dieselbe unilaterale Auffassung liegt auch den Anordnungen der Lemmata in den Wörterbüchern zu Grunde, wenn unter einem Lemma mehrere Bedeutungen verzeichnet werden. Bei bilateraler Auffassung müssten hier mehrere formgleiche Lemmata angegeben werden, was man aber vermutlich aus drucktechnischen Gründen nicht tut.

Zeichen, die in der Natur vorkommen, bilden das Untersuchungsobjekt der Semiotik, als deren Begründer Charles Sanders Peirce gilt. Seine Klassifikation der Zeichen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formuliert wurde, gilt mit einigen Modifizierungen auch heute noch in der kognitiven Sprachwissenschaft als Ausgangspunkt linguistischer Erwägungen (Tabakowska 2001, 16). Peirce unterscheidet drei Arten von Zeichen: Indexe, Ikonen und Symbole.

Indexalische Zeichen sind Erscheinungen, die eine kausale Folge dessen sind, was sie zum Ausdruck bringen, z. B. Rauch als Zeichen für Feuer (Feuer ist die Ursache des Rauches), Fußstapfen im Schnee als Zeichen, dass hier ein Mensch vorbeiging (der Mensch ist Ursache der Fußstapfen). .

Ikonische Zeichen sind stilisierte, oft stark reduzierte Abbilder dessen, was sie darstellen. Sie besitzen erkennbare Merkmale dessen, worauf sie sich beziehen, sind ähnlich mit dem, was sie zum Ausdruck bringen. Als Beispiele gelten etwa stilisierte Silhouetten von Frauen bzw. Männern an der Toilettentür oder ikonische Verkehrszeichen, wie „geschlossene Bahnüberfahrt“, „Radweg“, „Achtung Kinder“ u.dgl.

Symbolische Zeichen dagegen haben weder Abbildcharakter noch besteht zwischen Zeichen und Informationswert ein kausaler Zusammenhang. Zeichen dieser Art sind arbiträr. Der Zusammenhang des Zeichens mit dem, was es repräsentiert, beruht hier auf einer Konvention (einer Absprache oder einem gesellschaftlichen Usus), die es dem Zeichenempfänger ermöglicht, das Zeichen auf entsprechende Art zu verstehen. Beispiele wären etwa symbolische Verkehrszeichen, wie ein auf den Kopf gestelltes Dreieck „kein Vorfahrtsrecht“, oder ein rundes weißes Zeichen mit roter Umrandung „Einfahrt verboten“. Als Zeichen dieser Art werden auch Nationalflaggen, militärische Embleme und das Symbol der amerikanischen Dollars genannt. Symbolische Zeichen bilden in der menschlichen Kommunikation die zahlreichste und wichtigste Gruppe. Zu ihnen gehören auch die sprachlichen Zeichen.

Die Einteilung der Zeichen in Indexe, Ikonen und Symbole beruht auf der Unterscheidung wesentlich verschiedener Relationsarten zwischen Zeichen und Informationswert. Bei den indexalischen Zeichen war das die Relation Ursache / Folge, bei den ikonischen Zeichen Ähnlichkeit und bei den symbolischen Zeichen Konventionalität. Für unsere weiteren Erwägungen ist jedoch diese Klassifikation zu grobmaschig, da jede Klasse der unterschiedenen Zeichen Zeichenarten umfasst, die sich von einander wesentlich unterscheiden.

So ist zwar ein indexalisches Zeichen gewiss das Weinen eines Kleinkindes, verursacht durch Hunger oder andere Beschwerden. Wäre aber dasselbe Weinen des Kindes hervorgebracht mit der Absicht, eine Reaktion der Mutter zu erzielen, auch noch ein Zeichen dieser Art? Manche Autoren (vergl. Tabakowska 2001,16) zählen zu den indexalischen Zeichen (in Übereinstimmung mit der Bedeutung von lat. index = Zeigefinger) auch richtungsweisende Zeichen, wie z.B. Verkehrszeichen mit einem nach oben gerichteten Pfeil und der Aufschrift eines Ortsnamens (Bedeutung: wenn du an diesen Ort gelangen willst, dann fahre geradeaus). Ist das noch ein indexakisches Zeichen, oder vielmehr schon ein symbolisches Zeichen? Der Pfeil auf dem Verkehrsschild weist doch nicht in Richtung des genannten Ortes, sondern in Richtung des Himmels! Nicht nur die Richtung des Pfeiles ist konventionell bestimmt, sondern auch der Pfeil als Zeichen selbst. Ebenso gut könnte eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger diese Funktion erfüllen.

Ähnliche Fragen entstehen bei den ikonischen Zeichen, die eine Ähnlichkeit mit dem aufweisen, was sie ausdrücken. Ein ikonisches Zeichen ist zweifelsohne ein Verkehrszeichen mit einem springenden Hirsch (Bedeutung: Achtung, wild lebende Tiere). Aber ist ein ikonisches Zeichen auch eine Stadt- oder Landkarte, die gewöhnlich als Zeichen dieser Art aufgefasst werden? Weist eine Stadtkarte Ähnlichkeiten mit einer Stadt auf? Oder ist eine Stadtkarte nicht vielmehr eine mittels Linien, Punkten und Farben konventionelle Abbildung der Stadt? Konventionalität aber ist ein Merkmal der symbolischen Zeichen und nicht der Ikonen.

Und schließlich die symbolischen Zeichen. Wenn auf Grund der Konventionalität zu Zeichen einer Art so verschiedene Erscheinungen gezählt werden, wie gewisse Verkehrszeichen, Nationalflaggen, militärische Embleme und auch sprachliche Zeichen, so sind gewiss innerhalb dieser Zeichenklasse weitere Spezifizierungen notwendig.

Eine für unsere Zwecke brauchbare binäre Klassifikation der Zeichen finden wir in der Zeichentheorie des polnischen Linguisten Tadeusz Milewski (Milewski 2004,11), auf dessen Ausführungen wir im Folgenden Bezug nehmen. Milewski teilt:

Zeichen in 1. Symptome und 2. Signale,

Signale in 1. Appelle (asemantische Signale) und 2. semantische

Signale,

Semantische Signale in 1. motivierte Signale und 2. arbiträre (unmotivierte)

Signale,

Arbiträre Signale in 1. Einklassensignale und 2. Zweiklassensignale,

Zweiklassensignale in 1. phonemlose Signale und 2. phonemische Signale.

Die letzten werden als sprachliche Zeichen angesehen. Ein sprachliches Zeichen wäre demnach ein Signal (der Begriff wird im weiteren noch zu klären sein), das die Merkmale: semantisch, arbiträr, zweiklassig und phonemisch aufweist.

Dazu folgender Kommentar:

Zeichen im weiten Sinne des Wortes sind Erscheinungen, die für den Empfänger nicht dadurch wichtig sind, was sie selbst sind, sondern dadurch, dass sie seine Aufmerksamkeit auf etwas lenken, was sich außerhalb von diesen Erscheinungen befindet (aliquid stat pro aliquo).

Die erste Dichotomie des Zeichens betrifft die Unterscheidung von Symptomen und Signalen, die sich hinsichtlich ihrer Struktur und Funktion durch folgende Merkmale abheben:

Symptome sind komplexe Erscheinungen, die nicht als abgrenzbare Teile einer Erscheinung wahrgenommen werden. Sie werden nicht zielmäßig hervorgebracht, um etwas mitzuteilen. Symptome sind für denjenigen, der sie verursacht (bei dem sie entstehen), keine Zeichen. Zeichencharakter haben sie nur für denjenigen, der sie wahrnimmt. Daher sind es einseitige, nur für den Empfänger gültige Zeichen. Da Symptome beim Sender ungezielt, ohne Absicht etwas mitzuteilen, entstehen, können sie von ihm auch nicht als Zeichen wahrgenommen werden. Daher sind Symptome irreversibel.

Beispiele: Im Wald sehe ich im Neuschnee Fußstapfen. Ich erkenne: hier ging ein Mensch vorbei. Mein Jagdhund japst mit heraushängender Zunge. Ich erkenne: ihm ist heiß. Ein Kleinkind hat gerötete Wangen, die Mutter befühlt seine Stirn. Sie erkennt: das Kind hat Fieber, es ist krank.

In all diesen Fällen handelt es sich um Symptome, um komplexe, einseitige und irreversible Zeichen. Sie entstehen als Ergebnis natürlicher, meistens biologischer Ursachen.

Signale dagegen sind diskret (nicht komplex), und beidseitig. Sie sind Zeichen sowohl für den Sender als auch für den Empfänger. Sie werden vom Sender zielgemäß hervorgebracht und sind daher auch reversibel. Signale werden in Appelle (asemantische Signale) und semantische Signale eingeteilt.

Appelle richten das Bewusstsein des Empfängers nicht auf Erscheinungen der Außenwelt sondern rufen in ihm nur gewisse Gefühle oder Verhaltensweisen hervor. Auch diese Signale sind Zeichen sowohl für den Sender als auch für den Empfänger und sind somit auch reversibel. Typische Beispiele dieser Signale sind Produkte der bildenden Kunst, etwa Ornamente oder abstrakte Gemälde und Skulpturen. Auch musikalische Werke, die auf den Gefühlszustand des Menschen einwirken, können zu diesen Signalen gezählt werden.

Semantische Signale dagegen beziehen sich auf Erscheinungen der Außenwelt und lenken die Aufmerksamkeit des Empfängers auf diese Erscheinungen. Semantische Signale teilt man in motivierte Signale und arbiträre (nicht motivierte) Signale.

Motivierte Signale weisen in ihrer Form Merkmale auf, die auch in den durch diese Signale dargestellten Tatsachen vorkommen. Sie besitzen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Tatsachen, auf die sich sich beziehen. Motivierte Signale wären etwa realistische Porträts und Skulpturen, sowie auch lautmalerische Wörter (Onomatopöien).

Arbiträre Signale dagegen haben in ihrer Form keine Ähnlichkeiten mit dem, was sie darstellen. Die Korrelation zwischen einem arbiträren Signal und dem, was es mitteilt, beruht auf einem traditionellen, gesellschaftlichen Usus, einer Vereinbarung, die es dem Empfänger ermöglicht, das Signal auf entsprechende Weise zu verstehen. In diesem Sinne bedeutet arbiträr nicht willkürlich, sondern die konventionell festgelegte Relation zwischen Signal und Information. Weder der Sender noch der Empfänger kann an dieser Relation etwas verändern. Bei den arbiträren Signalen ist zu unterscheiden zwischen Einklassensignalen und Zweiklassensignalen.

Einklassensignale sind Einheiten einer quantitativ begrenzten Menge. Sie repräsentieren stets nur ihren Eigenwert. Eine Zusammenstellung zweier (mehrerer) Signale dieser Art ergibt keine neue Information sondern lediglich eine Summe von Informationen, die jedem Zeichen eigen ist. Als typische Beispiele dieser Signale können Verkehrszeichen genannt werden. Ihre Anzahl ist begrenzt, jede Information ist jeweils nur an ein Zeichen gebunden. Werden zwei oder mehrere Zeichen an einem Mast befestigt (zusammengestellt), so entsteht keine neue Information, sondern lediglich eine Summe von Informationen, die jedem einzelnen Zeichen zukommt. Zeichen dieser Art bilden semantische Systeme ohne Grammatik, sie sind Zeichen nur einer Klasse.

Zweiklassensignale dagegen gehören zwei Klassen an. Zur ersten gehören sie als Träger ihrer Eigeninformation, zur zweiten dank ihrer Kombinationsfähigkeiten mit anderen Zeichen, in deren Ergebnis neue Informationen entstehen, die nicht mehr mit der Informationssumme ihrer Bestandglieder übereinstimmen. Zeichen der ersten Klasse werden nach bestimmten Regeln zu zusammengesetzten Zeichen der zweiten Klasse kombiniert, so dass mit einem zahlenmäßig begrenzten Inventar einfacher Zeichen eine große, theoretisch unendliche Anzahl neuer Informationen generiert werden kann. Während Einklassensignale sich auf Tatsachen beziehen, die sich im unmittelbaren räumlichen oder zeitlichen Umfeld befinden, können Zweiklassensignale auch auf zeitlich und räumlich entfernte Tatsachen hinweisen, etwa Vergangenes oder sich in nicht unmittelbarer Nähe Befindliches mitteilen. Zweiklassensignale bilden semantische Systeme, die aus Zeichen und grammatischen Gesetzen bestehen, die ihre Kombinierbarkeit determinieren. Bei den Zweiklassensignalen werden phonemlose und phonemische Signale auseinander gehalten.

Als Beispiel der phonemlosen Signale wird in der linguistischen Literatur (Milewski 2004, 15) der Informationstanz der Honigbiene angeführt. Die Biene kann ihren Artgenossinnen mitteilen, wo sich die Nektarquelle befindet, d. h. die Richtung, in der sie fliegen sollen, um an den Ort zu gelangen, die Entfernung des Ortes vom Bienenstock, sowie die Ergiebigkeit der Quelle. Der so genannte Schwänzeltanz der Biene beruht auf einem wiederholten Durchlaufen einer achtförmigen Strecke, die zwischen den beiden Kreisen eine relativ lange Gerade einschließt. Beim Durchqueren dieser Geraden bewegt sie rhythmisch ihren Hinterleib hin und her und wendet sich danach abwechselnd nach rechts und nach links, um erneut die kreisförmige Strecke zu durchlaufen. Der Tanz findet auf einer senkrecht stehenden Wabe statt, wobei die Ausrichtung der Geraden zur Schwerkraft den Winkel angibt, in dem die Biene im Verhältnis zur Sonne fliegen muss, um an die Nektarquelle zu gelangen. Der Tanz auf der Geraden von unten nach oben bedeutet die Richtung zur Sonne, von oben nach unten die entgegengesetzte Richtung. Dabei entspricht die Dauer des Tanzes auf der Geraden der räumlichen Entfernung (je länger der Tanz umso weiter der Ort), und die Intensität des Tanzes der Qualität der gefundenen Stelle (je schneller umso besser die Qualität der Nektarquelle). (Vergl. http:// hompage.ruhr.uni-bochum.de/Udo.L.Figge/ texte/bienentanz.html).

Der dargestellte Tatbestand lässt Zweifel daran aufkommen, ob sich der Schwänzeltanz der Honigbiene als phonemloses Zweiklassensignal interpretieren lässt. Dass es sich beim Bienentanz um phonemlose Signale handelt, steht außer Zweifel, ebenso die Tatsache, dass hier eine Kombination von Signalen vorliegt. Das Wesen der Zweiklassensignale beruht aber, wie bereits dargelegt, darauf, dass durch die Verbindung von Einzelsignalen eine neue Information entsteht, die nicht mehr mit der Summe der Einzelinformationen übereinstimmt. Beim Bienentanz haben wir es nur mit einer Summe von Einzelinformationen zu tun, deren Träger die einzelnen Elemente des Tanzes sind: Tanzrichtung auf der Geraden = Flugrichtung, Tanzdauer = Entfernung der Quelle, Tanzintensität = Qualität der Quelle. Durch die Kombination, die gleichzeitige Ausführung der einzelnen Signale entsteht keine neue Information. Es liegt hier dasselbe Verhältnis vor, wie wenn wir an einem Mast drei verschiedene Verkehrszeichen anbringen. Auch hier entsteht keine andere Information, als diejenige, die jedes einzelne Zeichen ausdrückt. Zweiklassensignale scheinen nur menschlichen Sprachen eigen zu sein.

Wenn dem so ist, dann wäre von einer Einteilung der Zweiklassensignale in phonemlose und phonemische Signale abzusehen.

Phonemische Signale sind nur menschlichen Sprachen eigen. Als sprachliche Zeichen sind es Zeichen sui generis, die sich von allen anderen Zeichen dadurch unterscheiden, dass sie aus Phonemen, diskreten distinktiven Einheiten bestehen. Die große potenziell unbegrenzte Anzahl sprachlicher Zeichen besteht aus einer begrenzten Menge von distinktiven Merkmalbündeln, die zur Unterscheidung und Abgrenzung dieser Zeichen dienen, und die Phoneme genannt werden. Phoneme selbst teilen nichts mit, weisen auch auf nichts hin. Sie dienen als Bauelemente sprachlicher Zeichen, die sie zugleich dank ihrer Verschiedenheit bzw. ihrer verschiedenen Anordnung voneinander unterscheiden.

Von allen Zeichen, die in der Natur vorkommen, unterscheiden sich sprachliche Zeichen dadurch, dass sie semantische, arbiträre und phonemische Zweiklassensignale sind. Als Signale unterscheiden sie sich von den Symptomen, als semantische Signale von den asemantischen Appellen, als arbiträre (unmotivierte) Signale von den motivierten Signalen, als Zweiklassensignale von den Einklassensignalen, und als phonemische Signale von den phonemlosen Signalen. Im menschlichen Kommunikationsprozess aber ­– und das sei hier besonders hervorgehoben – kommen nicht nur sprachliche Zeichen vor, sondern auch alle anderen bisher beschriebenen Zeichen.

Um dies zu veranschaulichen, wollen wir hier in aller Kürze die Sprachentwicklung des Kindes nachvollziehen, so wie sie in den entsprechenden Handbüchern dargestellt wird (Piaget 1960, Jurkowski 1975, Shugar/Smoczyńska 1980, Mac-Winney 1987, Milewski 2004).

Die frühesten Zeichen, die in der menschlichen Ontogenese sichtbar werden, sind Symptome. Das Weinen eines Kindes in den ersten Monaten seines Lebens ist ein Symptom, an dem die Mutter seinen psychischen oder physischen Zustand erkennt. Ein Säugling weint noch nicht zielgemäß, um eine Reaktion der Mutter hervorzurufen. Als Zeichen gilt das Weinen nur für die Mutter.

Gegen Ende des ersten Lebensjahres bemerkt das Kleinkind, dass auf sein Weinen die Mutter herbeieilt, ihm etwa sein Fläschchen reicht, es wickelt oder auf den Arm nimmt. Das Kind, das diese Erfahrung gemacht hat, beginnt nun zu schreien, um die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich zu lenken. Dieses Geschrei ist kein Symptom mehr, sondern ein Appell, ein asemantisches Signal, das zielgerichtet eingesetzt wird, um etwas zu erreichen. Appelle verdrängen nicht die früheren Symptome, beide funktionieren nebeneinander, doch werden in dieser Entwicklungsphase die Appelle immer häufiger.

In den ersten Monaten des zweiten Lebensjahres versucht das Kind, gewisse Lautungen, die es in seiner Umgebung hört, auf seine Weise nachzuahmen oder auch eigene hervorzubringen, um auf Erscheinungen seiner Umwelt hinzuweisen. Es entstehen erste semantische Signale, lautmalerische akustische Gebilde, mit denen das Kind gewisse Erscheinungen seiner Umwelt assoziiert. Dies sind motivierte Signale, in ihrer Form erscheinen gewisse Merkmale, die auch in den durch diese Form bezeichneten Tatsachen vorkommen.

Im weiteren Entwicklungsverlauf des kindlichen Sprachvermögens entstehen unmotivierte semantische Signale, arbiträre Zeichen, die keine Ähnlichkeiten mehr mit den Erscheinungen der Umwelt aufweisen, auf die sie sich beziehen. Lautverbindungen wie mama oder papa, die in der Lallperiode des Kindes nur inhaltsleere Lautungen waren, und später als Appelle hervorgebracht wurden, um etwas zu erreichen, werden nun zu arbiträren Zeichen, die in der Psyche des Kindes mit der Person der Mutter bzw. des Vaters assoziiert sind. Zugleich lernt das Kind Laute unterscheiden, die für das Verständnis seiner Verlautbarungen wichtig sind und nicht willkürlich variiert werden können. Ein polnisches Kind erkennt an der Reaktion seiner Mutter sehr bald, dass wenn es anstelle der Lautfolge mama die Lautung baba hervorbringt, also anstelle eines labialen Nasals einen labialen Explosivlaut artikuliert, dass es nicht das Richtige getroffen hat (baba bedeutet im Polnischen ‚altes Weib’). Auf diese Weise gelangt das Kind zur unbewussten Erkenntnis distinktiver Lautmerkmale. Seine lautlichen Äußerungen werden zu phonemischen Zeichen.

Der Erwerb weiterer arbiträrer phonemischer Zeichen erfolgt erstaunlich schnell, so dass ein zweijähriges Kind schon über 300 Wörter verfügt (Jurkowski, 1975, 66). Doch bis zur Mitte des zweiten Lebensjahres sind das lediglich Einklassensignale, Einzelwörter, mit denen das Kind versucht (mit zusätzlicher Unterstützung durch Intonation oder Gestik) auch auf komplexere Erscheinungen hinzuweisen. Sprachpsychologen sprechen in diesem Zusammenhang von der Einwortphase im Spracherwerb des Kindes.

In der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahres erscheinen in den Äußerungen des Kindes Zweiwortverbindungen. Anfänglich sind das noch agrammatische Zusammenstellungen, aus denen sich aber nach einiger Zeit strukturierte Aussagen herausbilden. Das geschieht in der Regel gegen Ende des zweiten oder zu Beginn des dritten Lebensjahres und verläuft so intensiv, dass ein dreijähriges Kind bereits die Grundlagen seiner muttersprachlichen Grammatik beherrscht. Arbiträre phonemische Signale sind nun zu Zweiklassensignalen geworden, die nach grammatischen Gesetzen miteinander verbunden neue komplizierte Sachverhalte auszudrücken vermögen. Von nun an ist das Kind im Besitz sprachlicher Zeichen.

Wir übersehen nicht, dass der endgültige Erwerb sprachlicher Zeichen die nicht sprachlichen Zeichen der früheren Entwicklungsphasen nicht eliminiert. Sie alle bleiben im Kommunikationsprozess des Kindes (und auch des Erwachsenen!) weiterhin bestehen und erfüllen ihre ihnen zukommenden Funktionen.

Vieles spricht dafür, dass die chronologische Entwicklung der Zeichen vom Symptom bis zum sprachlichen Zeichen in der Ontogenese, so wie wir sie eben dargestellt haben, auch in der Philogenese des Menschen stattgefunden hat. Wir können hier diesen Gedanken nicht weiter verfolgen und verweisen auf entsprechende Literatur (etwa: Noble/Davidson 1996, Jenkins 2000).

Nach diesen etwas langwierigen doch unseres Erachtens notwendigen Erörterungen kehren wir zu unserer zu Beginn aufgeworfenen Frage zurück. Sind sprachliche Zeichen unilateral oder bilateral?

In umgangssprachlicher Auffassung werden Zeichen in der Regel unilateral verstanden. Als Verkehrszeichen etwa gilt nur das Schild, das dem Verkehrsteilnehmer mitteilt, wie er sich verhalten soll, und nicht das Schild zusammen mit seiner Information. Aber ein Verkehrszeichen ist kein sprachliches Zeichen. Erinnern wir uns noch einmal an die bisher beschriebenen nicht sprachlichen Zeichen! Als solche haben wir Symptome, Appelle, motivierte semantische Signale sowie phonemlose arbiträre Einklassensignale erkannt.

Als Beispiel für ein Symptom nannten wir u.a. Fußstapfen im Schnee, an denen wir erkannten, dass dort ein Mensch vorbeiging. Ein Symptom sind nur die Fußstapfen und nicht die Fußstapfen und meine Erkenntnis zusammen. Ebenso ist ein Appell der Schrei eines Kleinkindes allein und nicht der Schrei gemeinsam mit dem beabsichtigten Zweck. Unilateral sind auch die motivierten semantischen Signale, die in ihrer Form Merkmale aufweisen, die auch in den durch diese Form dargestellten Tatsachen vorkommen, etwa Porträts oder Skulpturen. Als unilateral gelten schließlich auch die phonemlosen arbiträren Einklassensignale, die keine Verbindungen eingehen können, um neue Inhalte mitzuteilen, wie die schon erwähnten Verkehrszeichen. All diese nicht sprachlichen Signale sind unilaterale Zeichen. Als Zeichen gilt nur ihre Form und nicht die Verbindung von Form und Information.

Sprachliche Zeichen dagegen sind arbiträre phonemische Zweiklassensignale, die nach grammatischen Gesetzen miteinander verbunden neue Informationen mitteilen können.

Die Frage ist nun, ob diese charakteristischen Merkmale des sprachlichen Zeichens darüber entscheiden, dass diese Zeichen bilaterale Einheiten sind, Einheiten von Form und Inhalt, so wie das de Saussure dargestellt hat.

Wir erwägen folgende Tatbestände:

1. Der Informationswert eines nicht sprachlichen Zeichens ist autonom in dem Sinne, dass derselbe Informationswert auch von einem anderen materiellen Träger, einer anderen Zeichenform, ausgedrückt werden kann. Ein Pfeil, der mich in eine Richtung verweist, kann durch eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger ersetzt werden, die durchaus dieselbe Aufgabe erfüllt wie der Pfeil. Oder: ein Porträt kann dieselbe Person darstellen wie ein Foto, ein Schrei und ein Pfiff können beide als Warnsignale verstanden werden, usw.

2. Den Informationswert eines nicht sprachlichen Zeichens, seinen Inhalt, kann man nur mittels Sprache, d. h. nur mit sprachlichen Zeichen, ausdrücken. Ohne Sprache kann ich den Sinn eines solchen Zeichen weder verstehen noch in mein Gedächtnis aufnehmen.

Und das sprachliche Zeichen?

Auch hier haben wir es mit einem Informationsträger (einer Sprachform) und einem Informationswert (einer Bedeutung) zu tun. Aber dieser Informationswert ist nicht autonom. Einen Begriff als mentale Einheit (eine Bedeutung) kann ich als Mitglied einer Sprachgemeinschaft nicht durch beliebige Zeichen wiedergeben, sondern nur mit der mit ihm konventionell verbundenen Lautform. Die Bedeutung bedarf einer materiellen Worthülle, einer Lautform, um überhaupt erst existent zu werden. Ohne Lautgestalt kann die Bedeutung gar nicht in Erscheinung treten, ja nicht eimal gedacht werden.

Eben deshalb wird das sprachliche Zeichen im Unterschied zu allen anderen Zeichenarten bilateral aufgefasst, als Einheit ihrer Lautgestalt und ihrer Bedeutung. Es ist eine Einheit der Art, dass eine Lautgestalt ohne Bedeutung kein sprachliches Zeichen ist, und eine Bedeutung ohne Lautgestalt nicht existieren kann. Erst durch die Lautgestalt, mit der sie in der gegebenen Sprache konventionell verbunden ist, kann sie in Erscheinung treten, erst in Verbindung mit der Lautgestalt kann sie Gegenstand meines Denkens werden. Eine Perzeption der Lautgestalt ohne Bedeutung ist nur bei Wörtern einer Sprache möglich, die man nicht versteht. Aber dann funktionieren die perzipierten Lautungen nicht als Elemente eines sprachlichen Zeichens, sondern als bedeutungslose Geräusche.

De Saussure’s Auffasung des sprachlichen Zeichens als bilaterale Einheit von Form und Bedeutung, obwohl nirgends von ihm explizit begründet (Hildebrandt 1972, 42), zeugt von einer genialen Intuition dieses Sprachtheoretikers, dessen Cours de linguistique générale einen Meilenstein in der Geschichte der modernen Linguistik darstellt.

Es bleibt die Frage zu beantworten, wie es möglich ist, dass in verschiedenen Zeichentheorien sowohl bilaterale als auch unilaterale Auffassungen anzutreffen sind. In wissenschaftlichen Auseinandersetzungen ist es doch niemals so, dass die einen die absolute Wahrheit repräsentieren, während die anderen Unsinn reden. Vielleicht haben die einen und die anderen recht und es ließe sich sowohl die unilaterale als auch die bilaterale Auffassung rechtfertigen?

Den Ausweg aus diesem Dilemma finde ich in Erkenntnissen der Wissenschaftstheoretiker, aus denen ich entnehme, dass Behauptungen, die als sicher angesehen werden, von den mit ihnen verbundenen epistemologischen und methodologischen Grundsätzen abhängig sind (Życiński 1989, 157). Mit anderen Worten: Je nach den angenommen theoretischen und methodologischen Voraussetzungen, auf welche sich Wissenschaftler in ihren Untersuchungen stützen, ist mit verschiedenen Forschungsergebnissen zu rechnen. Dies scheint der Fall zu sein, wenn in der Linguistik von einen die Auffassung vertreten wird, dass als sprachliches Zeichen nur die Zeichenform gilt, während für die anderen das sprachliche Zeichen eine bilaterale Verbindung von Zeichenform und Zeicheninhalt ist. Linguisten, die ihr Untersuchungsobjekt in sprachlichen Texten und nur in Texten sehen, in denen Exemplaren von Textklassen gewisse Elemente der Wirklichkeit entsprechen, müssen konsequenterweise zur Einsicht gelangen, dass sprachliche Zeichen Exemplare von Textklassen sind, und daher unilaterale Einheiten darstellen, denen in der nicht textlichen Wirklichkeit konventionell festgelegte Bedeutungen entsprechen (Zawadowski 1966, 124). Bei solch einer antimentalen Auffassung interessiert den Linguisten nicht, was sich in den Köpfen der Sprachteilnehmer abspielt, da sowohl der Sender als auch der Empfänger per definitionem aus dem Untersuchungsobjekt des Forschers ausgeschlossen ist.

Bei Sprachforschern aber, welche annehmen, dass Sprache sich in den Köpfen der Menschen befindet und „Bedeutungsanalysen ipso facto Analysen kognitiver Strukturen sind“ (Bartmiński 1999, 16), liegen die Dinge anders. Für Ferdinand de Sausure, der übrigens heute als Vorläufer der kognitiven Linguistik angesehen wird (http://www.neurolabor.de/script.htm), galt das sprachliche Zeichen als psychische Erscheinung, als Verbindung eines mentalen Lautbildes (image acoustique) mit einem Begriff (concept), deren beide Teile als untrennbare Einheit im Bewusstsein der Sprachbenutzer bestehen. Es ist nur allzu verständlich, dass in psychologisch kognitiver Auffassung das sprachliche Zeichen als bilaterale Einheit erscheinen muss, als eine im Bewusstsein der Menschen sich befindliche Verbindung von Form und Bedeutung.

Bibliographie

Bartmiński J. (Hrsg.), (1999), Językowy obraz świata. Lublin.

Bondzio W. (1980), Einführung in die Grundfragen der Sprachwissenschaft. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wilhelm Bondzio. Leipzig.

Grzegorczykowa R. (2001), Wprowadzenie do semantyki językoznawczej. Warszawa.

Hildebrandt E. (1972), Versuch einer kritischen Analyse des Cours de linguistique générale von Ferdinand de Saussure. Marburg.

Jenkins L. (2000), Biolinguistics: Exploring the Biology of Language. Cambridge.

Jurkowski A. (1975), Ontogeneza mowy i myślenia. Warszawa.

Klima E., Bellugi U. (1979), The Signs of Language. Cambridge.

Kurcz I. (2000), Psychologia języka i komunikacji. Warszawa.

Mac-Winney B. (Hrsg.), (1987), Mechanism of Language Acquisition. Hillsdale.

Milewski T. (1964), Teoria znaku. In: Zeszyty Naukowe KUL, Nr. 3, S. 3-14.

Lublin.

Milewski T. (2004), Językoznawstwo. Warszawa.

Noble W., Davidson I. (1996), Human Evolution, Language and Mind. A Psychological and Archaeological Inquiry. Melbourne.

Peirce Ch. S. (1983), Phänomen und Logik der Zeichen. Frankfurt/M.

Pollin B. E. (1976), Natural and conventional signs. A history of the distinction. In: Sułowski (Hrsg.), Studia z historii semiotyki. Bd. 3, Wrocław, Warszawa.

Saussure F. de (1916), Cours de linguistique générale. Paris, Lausanne.

Schaerlaekens A. M., Gillis S. (1987), De taalverwerving van het kind. Groningen.

Schaff A. (1968), Essays über die Philosophie der Sprache. II. Über die Eigenart des sprachlichen Zeichens. Frankfurt/M, Wien.

Shugar G.W., Smoczyńska M. (Hrsg.), (1980), Badania nad rozwojem języka dziecka. Warszawa

Tabakowska E. (Hrsg.), (2001), Kognitywne podstawy języka i językoznawstwa. Lublin.

Wąsik Z. (1987), Semiotyczny paradygmat językoznawstwa. Z zagadnień metodologicznego statusu lingwistycznych teorii znaku i znaczenia. Wrocław.

Wąsik Z. (1995), The linguistic sign and its referent. In: Sroka K. (Hrsg.), Kognitive Aspekte der Sprache. Akten des 30. Linguistischen Kolloquiums. Gdańsk.

Zawadowski L. (1966), Lingwistyczna teoria języka. Warszawa.

Zawadowski L. (1970), A classification of signs and of semantic systems. In: Greimas A., et al. (Hrsg.), Sign, Language, Culture. The Hague.

Życiński J. (1982), Język i metoda. Kraków.

Życiński J. (1989), Epistemologiczna zasada nieokreśloności i jej następstwa w metafilozofii. In: Perzanowski J. (Hrsg.), Jak filozofować. Studia z metodologii filozofii. Warszawa.

Artykuł ukazał się w druku w:

Das Deutsche als Forschungsobjekt und als Studienfach. Hrsg. von Michail L. Kotin,

Peter Lang Verlag, Frankfurt/M 2006, s. 221-232.