Welche Sprachen kannten die ersten schlesischen Piastenherzöge?
Von Wladislaus II. (*1105) bis Heinrich IV. (+1290)
Wenn wir heute in Bezug auf die Zeit der ersten schlesischen Piastenherzöge von polnischer oder deutscher Sprache sprechen, dann sollten wir uns dessen bewusst sein, dass wir heutige Vorstellungen übertragen auf eine Zeit, in der es weder eine polnische noch eine deutsche Sprache gab. In Schlesien lebten beim Herrschaftsantritt von Herzog Wladislaus II., dem Stammvater der schlesischen Piasten, Nachkommen der slawischen Stämme, die in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts in der Regensburger Völkertafel des sog. Bairischen Geografen genannt werden, Nachkommen der Slensanen, Dedosizen, Opolanen und der Golensizen. Die Völkerschaften der Slensanen und der Dedosizen erwähnt auch die Chronik Thietmars von Merseburg (Beginn des 11. Jahrhunderts), und im Prager Dokument Heinrichs IV. aus dem Jahr 1086 werden neben den Slensanen und Dedosizen noch zusätzlich die Stämme der Trebowanen und Boboranen erwähnt1. Die Sprachen dieser Völkerschaften waren keine polnischen Dialekte, denn die Existenz polnischer Dialekte setzt das Bestehen einer diese Dialekte überdachenden polnischen Sprache voraus, die es damals noch nicht gab. Das bedeutet für die im 12. Jahrhundert in Schlesien lebenden Völkerschaften, dass diese verwandte westslawische Sprachen gebrauchten, in denen sie sich trotz bestehender Unterschiede in gewissem Grade verständigen konnten.
Auch das damalige römisch-deutsche Reich, das Sanctum Imperium Romanum, war in ethnischer und politischer Hinsicht kein einheitlicher Organismus. Das Bestehen zahlreicher Herzog- und Fürstentümer nebst Grafschaften bildete bei Berücksichtigung der damaligen kommunikativen Möglichkeiten ein bedeutendes Hindernis für die Entstehung einer über den lokalen Landessprachen fungierenden deutschen Sprache. Die östliche Erweiterung des deutschen Reiches seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts auf die Gebiete zwischen Elbe und Oder führte zur Entstehung neuer politischer Gebilde, der sogenannten Markgrafschaften. Die Siedler, die auf diese Gebiete kamen, sprachen je nach Herkunftsland verschiedene lokale Mundarten. Von einer kolonialen Ausgleichssprache, wie sie für das 14. und 15. Jahrhundert Theodor Frings postuliert hatte, kann für die Zeit, die wir hier behandeln, noch keine Rede sein. Auch das so genannte klassische Mittelhochdeutsch, die höfische Dichtersprache des 12. und 13. Jahrhunderts süddeutscher Prägung, war alles andere als eine einheitliche Sprache. Der Anschein einer Einheitlichkeit konnte entstehen dank den philologischen Bemühungen von Karl Lachmann, der die mundartlich differenzierte handschriftliche Überlieferung einer grafischen Normalisierung unterworfen hatte, die bis heute in den Veröffentlichungen mittelhochdeutscher Texte die Regel ist. Die höfische Dichtersprache, die mit Heinrich von Veldecke beginnt, diente nur der literarischen Kommunikation. Als allgemeines Verständigungsmittel der Ritter, wie bisweilen angenommen, diente sie nicht2.
Wenn wir uns im Folgenden mit der Sprachkompetenz schlesischer Herzöge des 12. und 13. Jahrhunderts befassen wollen, so gilt als Erstes zu bedenken, dass wir keine direkten Zeugnisse über ihre Sprachkenntnisse besitzen. Alles, worüber wir verfügen und woraus wir plausible Schlüsse zu ziehen versuchen, sind Berichte von Chronisten und Historiografen, die das soziale Milieu beschreiben, in dem die Herzöge aufwuchsen und wirkten, die Herkunft und Bildung ihrer Ehefrauen betreffen sowie Namen von Rittern und Beratern überliefern, die in ihrem Umfeld tätig waren.
Der Stammvater der schlesischen Piasten war Wladislaus II. (1105- 1159), der älteste Sohn des polnischen Herzogs Boleslaus III. Schiefmunds und seiner Gattin Zbislawa, Tochter des Herzogs Swentopelk von Kiew. Da Mütter gewöhnlich mit ihren Kindern in ihrer Muttersprache sprechen, ist anzunehmen, dass die erste Sprache von Wladislaus das Altrussische war3. Zugleich aber erlernte er auch die altpolnische Sprache des Krakauer Hofes, auf dem er seine Kindheit und Jugend verbrachte. Zwar waren die Unterschiede zwischen dem Altrussischen und dem Altpolnischen des Krakauer Hofes zu dieser Zeit nicht so groß, dass man sich nicht hätte verständigen können, doch streng genommen handelt es sich um zwei verschiedene Sprachen, sodass wir annehmen müssen, dass Wladislaus während seiner Kindheit zweisprachig aufwuchs. Benedykt Zientara erwähnt in seiner Monografie über Boleslaus den Langen4, dass auf dem polnischen Hof in Krakau in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts sich ständig eine gewisse Anzahl Deutscher aufhielt, und dass es daher wahrscheinlich ist, dass sowohl Boleslaus Schiefmund als auch sein Sohn Wladislaus deutsch verstehen und sprechen konnten.
Boleslaus Schiefmund erwählte als Gattin für seinen Sohn die österreichische Prinzessin Agnes, Tochter des Babenberger Markgrafen Leopolds III. und seiner Gattin Agnes von Waiblingen, die ihrerseits die Tochter des deutschen Kaisers Heinrich IV. war, und zugleich auch die Mutter Konrads III., des damaligen Königs des deutschen Reiches. Die österreichischen Babenberger waren im 12. Jahrhundert als Gönner der Dichter und Sänger bekannt5. Als Wiener Hofsprache galt zu dieser Zeit das frühmittelhochdeutsche Bairische, das uns in schriftlicher Version in der frühen oberdeutschen Epik entgegentritt. Es war diese Sprache, die Agnes nach ihrer Vermählung mit Wladislaus (um 1125) und ihr österreichisches Gefolge auf den Krakauer Hof brachten. Spätestens jetzt dürfte der ca. 20-jährige Wladislaus die Sprache seiner Gattin, mit der er sich ja verständigen musste, kennenlernen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die stolze Babenbergerin, die die Sitten ihrer neuen Umgebung verschmähte, die Sprache des Krakauer Hofes erlernte6. Als nach dem Tod seines Vaters (1138) Wladislaus sein Erbe und zugleich die Herrschaft in Schlesien übernommen hatte, kam es einige Jahre später im Ergebnis von Zwistigkeiten mit seinen jüngeren Brüdern zur Niederlage seiner Anhänger und zur Vertreibung der herzoglichen Familie (1146). Zuflucht fand Wladislaus bei seinem Schwager Konrad III., der ihm und seinem Gefolge eine seiner Residenzen, das Schloss Altenburg in Thüringen, zur Verfügung stellte. Die Kenntnis der Sprache seiner Gattin war Wladislaus gewiss hilfreich in seinen Kontakten mit König Konrad und seinen Rittern, mit denen er 1147 an einem Kreuzzug teilnahm. Obwohl Konrad III. wiederholte Versuche unternommen hatte, seinem Schwager in Schlesien zur Macht zu verhelfen, kehrte Wladislaus nie mehr nach Schlesien zurück. Er starb 1157 in Altenburg7.
Zusammenfassend können wir festhalten, dass der Stammvater der schlesischen Herzöge ein Polyglotte gewesen ist. Er wuchs in seiner Kindheit zweisprachig, vielleicht sogar dreisprachig auf. Von seiner Mutter erwarb er als erste Sprache das Altrussische, zugleich erlernte er das Altpolnische des Krakauer Hofes sowie in gewissem Grade auch die Sprache der deutschen Gäste. Nach seiner Heirat mit Agnes lernte er die Wiener Hofsprache der Babenberger kennen.
Als Wladislaus 1146 mit seiner Familie und einem kleinen Gefolge in Altenburg eintraf, befanden sich unter den Ankömmlingen auch seine zwei Söhne, der 19-jährige Boleslaus und sein minderjähriger Bruder Mieszko. Ihre jüngeren Brüder, Konrad und Albert, erblickten erst in Altenburg das Licht der Welt.
Der Ältere der Brüder, Boleslaus (1127-2001) 8, verbrachte seine Kindheit am Krakauer Hof. Von seiner österreichischen Mutter und ihrem Gefolge erwarb er die Wiener Hofsprache oberdeutscher Prägung. Gleichzeitig erlernte er auch die altpolnische Sprache seiner Umgebung. Als Boleslaus 15 Jahre alt war, wurde er mit Wenzeslawa (Wienisława) vermählt, der Tochter des in Kiew residierenden Großherzogs Olegowitsch. Dass Boleslaus von seiner Gattin auch ihre altrussische Sprache erlernte, bezeugt die Tatsache, dass er drei Jahre später in Kiew mit Erfolg die politischen Interessen seines Vaters vertrat. Somit müssen wir Boleslaus als einen dreisprachigen Polyglotten bezeichnen, mit Oberdeutsch und Altpolnisch, die er in der frühen Kindheit erworben hatte, sowie Altrussisch, das er nach seinem 15. Lebensjahr kennenlernte.
Als der 19-jährige Boleslaus 1146 mit seinen Angehörigen, unter denen sich auch seine junge Gattin Wenzeslawa befand, in Altenburg eintraf, hatte er gewiss keine Schwierigkeiten, sich mit seiner neuen Umgebung zu verständigen. Bereits ein Jahr nach seiner Ankunft nimmt er am Kreuzzug seines königlichen Onkels Konrads III. teil, unterwegs lernt er Ungarn, Serbien, Griechenland und Konstantinopel kennen. Einige Jahre später sehen wir ihn im Gefolge von Kaiser Friedrich Barbarossa in Italien. Während der Belagerung von Mailand 1166 beweist er seine ritterliche Tüchtigkeit, indem er im Zweikampf einen mächtigen italienischen Ritter bezwingt.9 Die aktive Teilnahme am politischen Geschehen des deutschen Reiches erweiterte nicht nur Boleslaus‘ geistigen Horizont, sondern trug auch wesentlich zur Vervollkommnung seiner deutschen Sprachkenntnisse bei. Boleslaus’ Gemahlin Wenzeslawa gebar ihm zwei Kinder, Jaroslaw und Olga. Sie selbst starb in der Verbannung in Altenburg.
Über Boleslaus’ zweite Gattin, die spätere Mutter Heinrichs I., herrscht in den historischen Quellen keine Einigkeit. Im sogenannten Chronicon Polono-Silesiacum vom Ende des 13. Jahrhunderts, wird als seine zweite Gattin Adelheid von Sulzbach genannt, eine Schwester der Gemahlin von Konrad III. In den Nekrologien aus Leubus, Trebnitz und Amelungsborn, in denen der Todestag der Verstorbenen verzeichnet wurde, in deren Intention an gewissen Tagen gebetet wurde, erscheint dagegen als zweite Gattin von Boleslaus eine näher unbekannte Christina, von der man annimmt, dass sie aus einem gräflichen Geschlecht der sächsisch-thüringischen Nachbarlande stammte.10 Die Ansicht, dass Christina und nicht Adelheid die zweite Gattin von Boleslaus war, wird heute sowohl in der polnischen Historiografie als auch in der neusten deutschen Geschichtsschreibung vertreten.11
Auch Mieszko (1142 (?) -1211), der zweitälteste Sohn von Wladislaus, wuchs in seiner Kindheit zweisprachig auf.12 So wie sein älterer Bruder erwarb auch er von seiner österreichischen Mutter das Oberdeutsche des damaligen Wiener Hofes, erlernte aber zugleich auch das Altpolnische, die Sprache des Vaters und seiner Umgebung. Er war noch ein Kind, als er mit seinen Eltern nach Altenburg kam. Sein 17-jähriger Aufenthalt in der neuen sprachlichen Umgebung musste auch für ihn eine Erweiterung seiner deutschen Sprachkenntnisse bedeutet haben. Einige Indizien sprechen dafür, dass der junge Mieszko seine weitere Ausbildung im Benediktinerkloster zu Bamberg erworben hatte.13 In diesem Fall wäre für Mieszko auch eine gründliche Kenntnis der lateinischen Sprache anzunehmen. Sein Aufenthalt im Kloster würde auch erklären, warum sein Vater sich nicht um eine Gattin für seinen jugendlichen Sohn bemühte. Erst nach der Rückkehr nach Schlesien, schon als Herzog von Ratibor, heiratete Mieszko die Böhmin Ludmilla und begründete auf diese Weise die Oppelner Linie der schlesischen Piasten. Wir wissen heute nicht, in welcher Sprache sich beide Eheleute verständigten, insbesondere, ob Ludmilla die polnische Sprache ihres Gatten erlernte, oder ob Mieszko sich bemühte, mit seiner Gattin böhmisch zu sprechen. Immerhin ist zu bedenken, dass im 12. Jahrhundert die Unterschiede zwischen dem Altböhmischen und Altpolnischen nicht besonders groß sein dürften und dass eine wenn auch begrenzte Möglichkeit bestand, sich gegenseitig zu verständigen.
Konrad (geb. zwischen 1146 und 1157, gest. zwischen 1180 und 1190), der dritte Sohn von Wladislaus und Agnes, wurde schon in Altenburg geboren. Allem Anschein nach hatte er größeren Kontakt mit der deutschen als mit der polnischen Sprache. In der Kindheit für den geistlichen Stand bestimmt, genoss er seine Ausbildung im ostfränkischen Kloster Fulda. Hier verblieb er, bis er volljährig wurde und sich die Gelegenheit bot, in Schlesien ein Teilherzogtum zu erlangen. In der Geschichte Schlesiens spielte er keine größere Rolle, obwohl er das Glogauer Gebiet als seinen Herrschaftsbereich verwaltete. Nach seinem Tod fiel das Glogauer Herzogtum an Boleslaus den Langen, seinen älteren Bruder, zurück. Als Zögling der Fuldaer Klosterschule erwarb Konrad gewiss gute Kenntnisse der lateinischen Sprache. Ob oder in welchem Grade er auch das Polnische beherrschte, ist ungewiss.14
Albert (gest. um 1180), wahrscheinlich der jüngste Sohn von Wladislaus, blieb mit seiner Mutter in Altenburg. 1168 wird er in der Umgebung von Kaiser Friedrich Barbarossa erwähnt, dann verlieren sich seine Spuren. Nach Polen kehrte er nie zurück, obwohl er sich seiner Herkunft bewusst war. In einem lateinischen Dokument unterzeichnete er sich als „Sohn des polnischen Herzogs“.15
Nach 17-jährigem Aufenthalt im deutschen Reich kehrten 1163 die schlesischen Herzöge Boleslaus, Mieszko und Konrad unter der Schutzherrschaft von Kaiser Friedrich Barbarossa nach Schlesien zurück und nahmen nach Bruderzwist und erneuten Streitigkeiten mit ihren polnischen Verwandten endgültig Schlesien in Besitz. Der größte Teil mit Breslau, Liegnitz, Oppeln und nach Konrads Tod auch Glogau fiel Boleslaus zu. Mieszko herrschte anfangs nur über die Gebiete von Ratibor und Teschen. Bald gelang es ihm aber, weitere Gebiete Oberschlesiens zu erobern. Das Oppelner Gebiet erlangte er erst nach dem Tod seines älteren Bruders. Auf diese Weise schuf Mieszko die Grundlagen zur Entwicklung einer Landschaft, die später Oberschlesien (Silesia Superior) genannt wurde. Seine Herrscher nannten sich Oppelner Herzöge, die Piasten Niederschlesiens dagegen Schlesische Herzöge.
Obwohl Herzog Boleslaus der Lange mehrere Residenzen in Schlesien besaß, galt als administratives Zentrum und als Lieblingsort seines Aufenthalts das Schloss in Liegnitz. Wahrscheinlich hier erblickte 1168 sein Sohn und Nachfolger, Heinrich I. das Licht der Welt. Zur Umgebung, in der der junge Heinrich aufwuchs, schreibt Benedykt Zientara :16
„Die Kindheit Heinrichs und seiner Geschwister verlief am väterlichen Hof, zuerst an der Seite seiner Mutter und danach unter den ihm von seinem Vater zugewiesenen Rittern und Geistlichen, unter deren Obhut der junge Herzogsohn seine Erziehung und Ausbildung erhielt. Von seiner Mutter und den mit ihr aus dem Westen gekommenen Begleiterinnen erlernte er die deutsche Sprache. Aber darüber hinaus bewegte er sich in überwiegendem Maße in polnischer Umgebung, denn solch einen Charakter hatte der Hof von Boleslaus dem Langen. Im Jahre 1175 (Heinrich war damals 7 Jahre alt. Hinzufügung N. M.) sehen wir unter den Rittern in der Umgebung des Herzogs nur einen Ritter vermutlich deutscher Herkunft, worauf sein Name Bertolf hinweist. Die Übrigen, das sind zehn polnische Ritter: Zwinisław, Jarosław, Konrad Sohn des Dzierżykraj, Naściwuj, Janusz, Strzeżko, Piotrek, Obiesław, Polanin sowie der herzogliche Kanzler Hieronymus. Schwer zu sagen, wer von diesen Menschen sich mit der Erziehung Heinrichs befasste; sicher ist dagegen, dass die Umgangssprache des jungen Herzogs die polnische Sprache war.“
Den dargestellten Verhältnissen gemäß wuchs Heinrich am Hof seiner Eltern zweisprachig auf. Bei einem zweisprachigen Kind bestehen beide Sprachen gleichwertig nebeneinander. Wenn man eine der beiden Sprachen Heinrichs, das Polnische, als seine Umgangssprache bezeichnet, so wie das im obigen Zitat geschehen ist, so sollte man nicht vergessen, dass zweisprachige Kinder, die ihre Sprachen in früher Kindheit erworben haben, über zwei Umgangssprachen verfügen und je nach Sprachpartner mühelos von einer zur anderen Sprache wechseln. Bevor Heinrich unter die erzieherische Obhut polnischer Ritter oder Geistlicher geriet, erwarb er von seiner Mutter und ihrem Gefolge die deutsche Sprache in ihrer ostmitteldeutschen Variante. Durch diese seine erste Sprache lernte er die Welt seiner kindlichen Umgebung kennen, in dieser Sprache entwickelte sich im Kontakt mit der Mutter sein Gefühlsleben, in dieser Sprache lernte er wahrscheinlich auch seine ersten Gebete. Doch daraus voreilig auf eine deutsche nationale Zugehörigkeit Heinrichs schließen zu wollen, wie das in der älteren deutschen Geschichtsschreibung geschehen ist17, ist ein ahistorisches Verfahren, in dem moderne Gesichtspunkte in unzulässiger Weise auf historisch entfernte Zeiten übertragen wurden. Die Menschen des 12. Jahrhunderts dachten noch nicht in nationalen Kategorien. Für die schlesischen Piasten der damaligen Zeit war vor allem das Bewusstsein dynastischer Zugehörigkeit wichtig und im weiteren Sinn das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft. Nationales Denken ist einer späteren Zeit vorbehalten.18
Es waren politisch-dynastische Erwägungen, die Heinrichs Vater veranlassten, die zukünftige Gattin seines Sohnes in Bayern auf der Burg Bertholds VI., des Grafen von Andechs und Herzogs von Meranien, zu suchen. Die Grafen von Andechs genossen zur Zeit Bertolds VI. ihr höchstes Ansehen und ihre Burg am Ammersee in Südbayern war damals ein bekannter Mittelpunkt höfischer Kultur19. Hier verbrachte Hedwig, die künftige Gemahlin Heinrichs, ihre frühe Kindheit. Als sie 6 Jahre alt wurde, übernahmen die Benediktinerinnen des Klosters Kitzingen ihre weitere Erziehung. Hier erhielt sie eine sorgfältige und vielseitige Ausbildung, die nicht nur Lesen und Schreiben sowie die Kenntnis des Lateins betraf, sondern auch Stickerei und Harfenspiel umfasste20. Hedwigs Muttersprache war natürlich nicht die deutsche Sprache, denn solch eine über den lokalen Landessprachen bestehende allgemeine Sprache gab es damals noch nicht. Auf dem Hofe von Hedwigs Eltern herrschte das Bairische, eine Sprache oberdeutscher Prägung, die uns aus schriftlichen Überlieferungen des 12. Jahrhunderts bekannt ist. Bairisch sprachen auch die Nonnen in Kitzingen, wo Hedwig bis zum 12. Lebensjahr verblieb. Nach ihrer Vermählung und Ankunft auf dem Hof ihres Schwiegervaters, hatte Hedwig alle Chancen, die Sprache ihrer neuen Umgebung, die schlesisch-polnische Landessprache, kennenzulernen. Die Sprache ihres Herzens blieb jedoch ihre bairische Muttersprache. Wir wissen mit Gewissheit, dass sie in ihrer Muttersprache beichtete. Ihre Beichtväter waren Gunter, der Abt des Klosters Leubus, danach der Zisterzienser Matthäus, sowie der Franziskaner Herbord. Keine Information dagegen haben wir darüber, in welcher Sprache Heinrich und Hedwig miteinander sprachen. Doch ist anzunehmen, dass Hedwig nach ihrer Ankunft in Schlesien, als sie die schlesische Landessprache noch nicht kannte, mit ihrem Gatten bairisch sprach. Die Unterschiede zwischen ihrer Muttersprache und dem ostdeutschen Sächsisch, das Heinrich von seiner Mutter Christina erlernt hatte, waren im 12. Jahrhundert noch nicht so erheblich, dass sich die jungen Eheleute nicht hätten verständigen können, und es ist wahrscheinlich, dass diese Sprachen auch weiterhin als Verständigungsmittel von Herzog Heinrich und seiner Gattin vorherrschten. Später, nachdem Hedwig schon das Schlesisch-Polnische ihrer neuen Umgebung erlernt hatte, gebrauchte sie je nach den Umständen die eine oder die andere Sprache. Wenn sie ihren armen Untertanen Hilfe leistete, sprach sie gewiss in der Sprache der Hilfsbedürftigen, dem Schlesisch-Polnischen. Wenn sie sich dagegen im Trebnitzer Kloster mit den Bamberger Nonnen verständigen musste oder mit der Äbtissin Petrissa, ihrer Erzieherin aus Kitzingen, sprechen wollte, tat sie das gewiss auf Bairisch, in ihrer Muttersprache.
Von den acht Kindern, die Hedwig geboren hatte, erreichten nur zwei das Erwachsenenalter: Gertrud, die spätere Äbtissin des Trebnitzer Klosters, sowie Heinrich II., der Nachfolger Heinrichs I.
Über das Geburtsdatum Heinrichs II. und seine Kindheit sind wir nicht unterrichtet. Die erste Nachricht über ihn stammt aus dem Jahr 1208 21. Verhältnismäßig früh vertraute ihm sein Vater verschiedene Verwaltungsaufgaben an. Schon 1224 verfügte er über einen eigenen Kanzler und unterzeichnete Urkunden mit eigenem Siegel. Die Bemühungen seines Vaters bei Papst Gregor IX., dass dieser seinen Sohn in die Obhut des Heiligen Stuhls nähme, was 1235 erfolgte, kann als Indiz dafür angesehen werden, dass Heinrich I. für seinen Sohn die polnische Königskrone erstrebte. Als Heinrich I. 1238 starb, war sein Sohn und Nachfolgerauf die Ausübung der Regierungsgeschäfte bestens vorbereitet. Noch zu Lebzeiten seines Vaters heiratete Heinrich II. die Prinzessin Anna, die Tochter des böhmischen Königs Ottokar I. Die verheißungsvolle Entwicklung seiner Herrschaft wurde 1241 jäh unterbrochen durch seinen Tod in der Schlacht bei Wahlstatt, in der Nähe von Liegnitz.
Welche Sprachen kannte Heinrich II.?
Obwohl die Überlieferung über seine Kindheit schweigt, ist anzunehmen, dass er von Hedwig, seiner Mutter, die deutsche Sprache in ihrer bairischen (oberdeutschen) Variante erworben hat. Zugleich erlernte er das Schlesisch-Polnische seiner weiteren Umgebung. Ähnlich wie sein Vater wuchs also auch Heinrich II. zweisprachig auf. Anzunehmen ist auch, dass er von seiner böhmischen Gattin die altböhmische Sprache kennenlernte, die sich zu dieser Zeit aber nur geringfügig vom Schlesisch-Polnischen unterschied.
Während der Regierungszeit Heinrichs I. sowie seines Sohnes und Nachfolgers Heinrichs II. erfolgten in Schlesien Migrationsprozesse, die im Laufe der Zeit ihr Herrschaftsgebiet in eine zweisprachige Landschaft umwandelten. 22Entscheidend für diese Entwicklung wurde die von Heinrich I. planmäßig geführte Siedlungspolitik, die den Landesausbau mit deutschen Siedlern einleitete. Bereits während der Regierungszeit Heinrichs I. und seines Sohnes Heinrichs II. entstand im Bober-Queis-Gebiet und räumlich anschließend im Südwesten am Gebirgsrand ein breiter geschlossener Streifen deutscher Bauernhöfe, die den Kern für den deutschen Neustamm der Schlesier bildete. Neben den Landesherren waren auch die Bischöfe von Breslau Förderer des Siedlungswerkes, was ihnen Machtzuwuchs und erhöhte Einnahmen sicherte. Auch neu entstandene klösterliche Stiftungen beteiligten sich an Siedlungsunternehmen. Deutsche Siedlungen entstanden auch auf Rodungsboden innerhalb des slawischen Siedlungsgebiets. Dabei ging von Anfang an die Anlage neuer Dörfer planmäßig mit der Gründung neuer Städte einher, wodurch das sogenannte Weichbildsystem entstand, mit einer Stadt im Zentrum und einem Kranz wirtschaftlich mit ihr verbundener Dörfer. Innerhalb dieser Wirtschaftseinheiten kam es auf natürliche Weise zu einer Annäherung der einheimischen slawischen und der deutschen Bevölkerung, was günstige Voraussetzungen für gegenseitige sprachliche Beeinflussungen bildete. Die neuen sozialen Verhältnisse mussten ihrerseits Auswirkungen auch auf die Sprache des herzoglichen Hofes haben. Mit den vom Herzog herbeigerufenen Siedlern kamen auch zahlreiche deutschsprachige Ritter ins Land, deren Namen sich in herzoglichen Urkunden dieser Zeit wiederfinden. Der Mongolenansturm und die verlorene Schlacht auf der Wahlstatt bei Liegnitz konnten den Siedlungsprozess nicht unterbrechen. Einbußen in der Bevölkerungszahl wurden bald durch verstärkte Heranziehung neuer Siedler behoben. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erreichte die deutsche Siedlung ihren Höhepunkt. Während bis 1241 in Schlesien nur 40 deutschrechtliche Dörfer urkundlich nachweisbar sind, steigert sich deren Zahl von da an bis zur Jahrhundertwende auf mehr als 200.23 Diese sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen müssen wir im Auge behalten, wenn wir uns nun der Sprache der Nachfolger Heinrichs II. zuwenden.
Heinrich II. hinterließ fünf Söhne: Boleslaus, Mieszko, Heinrich, Konrad und Wladislaus. Da Mieszko im frühen Jugendalter starb und Konrad und Wladislaus für den geistlichen Stand bestimmt waren, blieben als Nachfolger in der Herrschaft nur Boleslaus und Heinrich zurück. Der ältere von ihnen, Boleslaus II. der Kahle (um 1220 – 1278), übernahm bald nach dem Tod seines Vaters, vorerst noch unter der Vorherrschaft seiner Mutter, der Herzoginwitwe Anna, die Herrschaft des Landes. 1242 heiratete er Hedwig, die Tochter des Grafen Heinrich I. von Anhalt. Boleslaus´ erste Sprache, die er in früher Kindheit von seiner Mutter Anna erworben hatte, war das Altböhmische, das sich in dieser Zeit nur geringfügig vom Schlesisch-Polnischen unterschied. Da an der Erziehung auch seine Großmutter Hedwig (die spätere hl. Hedwig) beteiligt war, ist wahrscheinlich, dass er zugleich auch die deutsche Sprache (in ihrer bairischen Variante) kennenlernte. Auch kann davon ausgegangen werden, dass er sich im Kontakt mit seiner deutschen Gattin, die des Polnischen nicht mächtig war, ihrer Muttersprache bediente. Indessen konnte es mit seiner Kenntnis der deutschen Sprache nicht weit her sein, wird doch in der Chronik der Polnischen Herzöge (Kronika Książąt Polskich) berichtet:
„Dieser Boleslaus der Kahle wurde nach der Überlieferung glaubwürdiger Menschen der Wunderliche (mirabilis) genannt. Wunderlich war er nämlich in der Art seines Sprechens. Denn wenn er deutsch sprach, verdrehte er die Wörter so sehr, dass die zahlreichen Zuhörer in Lachen ausbrachen.“24
Noch bevor Boleslaus seine Herrschaft in Schlesien mit seinem Bruder Heinrich III. teilen musste, verlor er in kürzester Zeit die außerschlesischen Erwerbungen seines Großvaters. Zur Teilung des Herzogtums kam es 1248, nachdem Heinrich III. volljährig geworden war. Nach Streitigkeiten und gegenseitigen Fehden erhielt Heinrich Mittelschlesien mit Breslau als Hauptstadt, Boleslaus dagegen musste sich mit Westschlesien mit den Hauptorten Liegnitz und Glogau begnügen. Kurz darauf wurde er nach erneuten Kämpfen gezwungen, seinem jüngeren Bruder Konrad, der auf geistliche Würden verzichtet hatte, das Teilgebiet Glogau zu überlassen. Auf diese Weise wurde das schlesische Kerngebiet in drei Herzogtümer aufgeteilt, die sich in späteren Generationen in weitere bedeutungslose Fürstentümer auflösten.
Boleslaus und Heinrich suchten in ihren andauernden Streitigkeiten Hilfe bei ihren deutschen Verbündeten. Boleslaus fand Beistand bei seinem Schwiegervater Heinrich I. von Anhalt und Unterstützung von Wilbrand, dem Erzbischof von Magdeburg, sein Bruder Heinrich dagegen holte sich militärische Hilfeleistung bei Heinrich dem Erlauchten, dem Markgrafen von Meißen. Wie Winfried Irgang 25 berichtet, ist es unwahrscheinlich, dass organisierte Expeditionen aus Deutschland zugunsten des einen oder anderen Gegners stattgefunden haben. Wohl aber sind im Gefolge von Herzog Boleslaus nach dem Abkommen mit Erzbischof Wilbrand eine Reihe deutscher Ritter zu sehen, die als Magdeburger Ministerialen nachweisbar sind. Boleslaus´ Verhalten hatte zur Folge, dass ihn große Teile der eigenen Ritterschaft verließen. An ihre Stelle setzte er deutsche Ritter ein, sodass sein Hof in Liegnitz in kurzer Zeit zu einem deutschsprachigen Hof wurde.26
Im Gegensatz zu seinem streitsüchtigen Bruder war Heinrich III. (um 1227 - 1266) bestrebt, sein Breslauer Teilgebiet systematisch wirtschaftlich auszubauen.27 In gemeinsamer Regentschaft mit seinem Bruder Wladislaus, dem Kapitelpropst von Wyschehrad und späteren Erzbischof von Salzburg, pflegte Heinrich III. freundschaftliche Beziehungen zu König Přemysl Ottokar II. von Böhmen, mit dem er durch seine böhmische Mutter verwandt war. Ähnlich wie seine Brüder entfaltete Heinrich III. eine rege Siedlungstätigkeit. Dabei holte er nicht nur deutsche Siedler ins Land, sondern zog auch alt eingesessene slawische Kräfte in seine Siedlungstätigkeit ein. Zugleich verlieh er den in seinem Herrschaftsbereich bereits bestehenden Städten deutsches Recht. Das schnell zu einem Machtfaktor heranwachsende Breslau stattete er im Rahmen des Magdeburger Rechts mit der Ratsverfassung aus, die dem hauptsächlich aus Deutschen bestehenden Stadtrat die Herrschaft in der Stadt einräumte.28
Welche Sprachen kannte Heinrich III.? Ähnlich wie sein älterer Bruder Boleslaus wuchs auch er auf dem herzoglichen Hofe Heinrichs II. und seiner böhmischen Gattin zweisprachig auf. Das Altböhmische, das seine Mutter und ihre Hofgefährtinnen sprachen, und das sich zu dieser Zeit nur geringfügig vom Schlesisch-Polnischen unterschied, wird auch die erste Sprache Heinrichs III. gewesen sein. Mit seiner Gattin Jutta, der Tochter des polnischen Herzogs Konrad von Masowien, wird er gewiss polnisch gesprochen haben. Seine deutschsprachigen Kenntnisse dagegen sind bezeugt durch Tannhäuser, den deutschen Dichtervaganten, der in den Jahren 1228 - 1265 dichtete, von dem er als Kunstmäzen deutscher Minnesänger gepriesen wird.29 Heinrichs Ehe mit Jutta entsprossen mehrere Kinder, von denen nur Heinrich IV. und seine Schwester Hedwig, die spätere Gattin des Landgrafen Heinrich von Thüringen, die Kindheit überlebten. Bevor wir uns jedoch Heinrich IV. zuwenden, wollen wir zuvor noch kurz auf seine jüngeren Brüder, Konrad und Wladislaus, eingehen.
Bei der Aufspaltung des Herzogtums Schlesien in zwei Teilgebiete wurden ihre Herrscher, Boleslaus II. und Heinrich III., verpflichtet, sich ihrer jüngeren Brüder, die zum geistlichen Stand bestimmt waren, anzunehmen und für ihren Unterhalt zu sorgen. Konrad geriet unter die Obhut von Boleslaus, der jüngere Wladislaus dagegen unter die Fürsorge von Heinrich.
Konrad (geb. zwischen 1228 und 1231, gest. 1273 oder 1274) 30 wuchs ähnlich wie die älteren Brüder auf dem Hofe seiner Eltern zweisprachig auf. Nach Studien in Paris wurde er 1248 zum Bischof von Passau ernannt, nachdem er dort bereits einige Zeit als Subdiakon und Propst gewirkt hatte. 1249 verzichtete er auf geistliche Würden, kehrte nach Schlesien zurück und erzwang, wie bereits erwähnt, von Boleslaus II. das Herrschaftsgebiet Glogau. Als Herzog von Glogau heiratete Konrad Salome, die Tochter des Herzogs von Großpolen, Wladislaus Odosohn. Im Verkehr mit Salome wird Konrad vermutlich polnisch gesprochen haben, wogegen in seiner zweiten Ehe mit Sophie, der Tochter des Markgrafen Dietrich von Meißen, die deutsche Sprache vorherrschen dürfte. Durch seine Studien in Paris gehörte Konrad gewiss zur intellektuellen Elite Schlesiens. Latein gehörte zu seiner Grundausbildung, und sein längerer Aufenthalt in Passau wird sicherlich auch zur Vertiefung seiner deutschen Sprachkenntnisse beigetragen haben.
Eine geistliche Laufbahn erstrebte auch Wladislaus, der jüngste der Brüder (1237 – 1270). Nach Studien in Padua oder Bologna sehen wir ihn 1256 in Prag als Kapitelpropst von Wyschehrad und Kanzler am Hofe Ottokars II. Neun Jahre später ist er Erzbischof von Salzburg. In gemeinsamer Regentschaft mit Heinrich III. vertritt er am Prager Hofe die Interessen seines Bruders, der wegen ständiger Abwesenheit von Wladislaus die Herrschaft im Breslauer Herzogtum de facto allein ausübte. Die am elterlichen Hofe erworbene Zweisprachigkeit erweiterte Wladislaus während seiner Vorbereitung zu geistlichen Würden um das Lateinische. Die Kenntnis der deutschen Sprache war für ihn nicht nur am Prager Hof, sondern auch auf dem erzbischöflichen Stuhl in Salzburg unumgänglich. Nach dem Tod Heinrichs III. (1266) verwaltete Wladislaus als sein Nachfolger und Vormund des jungen Heinrich IV. das Herzogtum Breslau.
Heinrich IV. (um 1257 – 1290), von seinen Zeitgenossen Probus – der Gerechte genannt, wurde in Breslau geboren als Sohn Heinrichs III. und seiner Gattin Jutta, der Tochter des polnischen Herzogs Konrad von Masowien.31 Sowohl die Sprache seiner Mutter als auch die seiner Großmutter, die bis zu ihrem Tod am Breslauer Hof eine bedeutende Rolle spielte, sprechen dafür, dass Heinrichs erste Sprache das Altpolnische war. Nach dem Tod seiner Mutter, der spätestens 1265 erfolgte, heiratete Heinrich III. Helene, die Tochter des sächsischen Herzogs Albrechts I., so dass in der unmittelbaren Umgebung des jungen Heinrich auch die deutsche Sprache erklang. Für ein Vorherrschen der deutschen Sprache am damaligen Breslauer Hof spricht auch die bereits erwähnte Tatsache, dass sein Vater als Mäzen deutscher Minnesänger bekannt war.32 Somit kann angenommen werden, dass Heinrich IV. bereits in seiner frühen Kindheit auch mit der deutschen Sprache vertraut war. Entscheidend für seine sprachliche Zukunft sollte sich jedoch erst sein Aufenthalt am deutschsprachigen Prager Hof erweisen. Die ältere Geschichtsforschung ging davon aus, dass Heinrich seit 1267 bis gegen Ende des Jahres 1271 am böhmischen Hofe weilte und dort seine Erziehung genoss. Demgegenüber hat Winfried Irgang in einer quellenkritischen Untersuchung33 belegt, dass Heinrich erst nach dem Tod seines Oheims Wladislaus (gest. 24. oder 27. April 1270) an den Prager Hof gegangen sein konnte, um dort unter der Vormundschaft von König Přemysl Ottokar II. seine Ausbildung zu vervollständigen. Bereits im November 1271 erscheint der junge Fürst wieder in Breslau, wo er, nunmehr volljährig geworden, die Regierungsgeschäfte antritt.
Der deutschsprachige Prager Königshof zeichnete sich zur Zeit Přemysl Ottokars II., der selbst zu den mächtigsten Kurfürsten des römisch-deutschen Reiches zählte, durch glanzvolle Hofhaltung und großzügiges Mäzenatentum aus. Hier wirkten deutsche Minnesänger wie Friedrich von Suonenburg, Meister Sigeher und der Meißner, die u. a. Lobsprüche auf den König verfasst haben. Mit Ulrich von dem Türlin, der König Ottokar seinen „Willehalm“ gewidmet hat, begann auch die deutschsprachige höfische Epik in Prag.34 Der über ein Jahr andauernde Aufenthalt am Prager Hofe musste auf dem 13-jährigen Heinrich einen gewaltigen Eindruck hinterlassen haben. Hier sah und erlebte er die Pracht der königlichen Hofhaltung mit ihren glänzenden Ritterturnieren und Auftritten deutscher Minnesänger, die ihn in eine bisher unbekannte glanzvolle Welt versetzten. In dieser Umgebung entwickelten sich seine Kenntnisse der Prager Hofsprache, sowie seine spätere Vorliebe für Minnesang und Ritterturniere. Überliefert ist, dass Heinrich IV. nach Eroberung der bischöflichen Stadt Neisse, dort ein prachtvolles Ritterfest veranstaltet hat. Als Kunstmäzen deutscher Minnesänger ist er ausdrücklich bezeugt durch seinen Zeitgenossen, den Dichter Heinrich von Meißen mit dem Beinamen Frauenlob.35 In der Großen Heidelberger Liederhandschrift, auch Mannesische Liederhandschrift genannt, entstanden Anfang des 14. Jahrhunderts in der Schweiz, befinden sich zwei Minnelieder, als deren Verfasser nach heutiger Kenntnis Herzog Heinrich IV. gilt.36 Die beiden Texte befinden sich in der nach Standeshierarchien gegliederten und reich bebilderten Handschrift zwischen den Liedern des böhmischen Königs Wenzel II. und des Markgrafen Otto I. von Brandenburg. Die beiliegende Miniatur, versehen mit der Inschrift herzoge heinrich võ pressela, stellt die Hauptfigur zu Pferde als Sieger in einem Turnier dar, die gerade von zwei weiblichen Gestalten den Siegerkranz überreicht bekommt, wobei auf dem Schild des Ritters das Wappen der schlesischen Piasten deutlich zu sehen ist.
Die Tatsache, dass Heinrich seine Minnelieder in der höfischen Dichtersprache verfasst hat, bedeutet nicht, dass diese Sprache auch seine Umgangssprache gewesen ist. Die höfische Dichtersprache diente nur der literarischen Kommunikation. Als mündliches Verständigungsmittel der Dichter und Ritter galten ihre lokalen Sprachvarianten.37
Um 1277 heiratet Heinrich IV. die Tochter des Oppelner Herzogs Wladislaus I., von der er sich nach Jahren trennt, und 1288 eine zweite Ehe, diesmal mit Mechthilde, der Tochter des Brandenburger Markgrafen Otto V., eingeht. Heinrichs eheliche Bindungen liefern ein anschauliches Bild seiner Zweisprachigkeit. Seine erste Gattin, deren Name wir nicht kennen und die auf dem polnischsprachigen Oppelner Hof aufgewachsen ist (ihre Mutter Eufemia war die Tochter des großpolnischen Herzogs Wladislaus Odosohn), konnte wahrscheinlich nicht deutsch, sodass anzunehmen ist, dass Heinrich mit ihr polnisch sprach. Seine zweite Gattin Mechthilde dagegen, die Tochter des Brandenburger Markgrafen Otto I., wird ihrerseits kaum des Polnischen mächtig gewesen sein, und im Verkehr mit ihr gebrauchte Heinrich allem Anschein nach die deutsche Sprache. Heinrichs IV. Hofhaltung war gewiss auch schon vor seiner Heirat mit Mechthilde deutsch. Dafür spricht u. a. auch die deutsche Herkunft der überwiegenden Anzahl seiner Hofleute und Amtsträger.38 Zu solch einer Überzeugung gelangte auch der polnische Historiker Jerzy Besala :39
„Nach der Niederlage des böhmischen Königs [Ottokars II. in der Schlacht bei Dürnkrut 1278, Hinzufügung N. M.] entfernte er weiterhin aus seiner Umgebung polnische Geistliche und ersetzte sie durch deutsche. Sogar anstelle des Simon Gallicus setzte Heinrich 1280 den Deutschen Bernhard von Kamenz als Kanzler ein. Es scheint, dass Heinrich nur auf den Zusammenkünften der Piasten und nur mit manchen Herrschern polnisch sprach; gewöhnlich gebrauchte er die deutsche Sprache.“
Indessen war der Gebrauch der deutschen Sprache durch Heinrich IV. auch in den Augen anderer Piastenherzöge kein Hindernis, sich um die polnische Königskrone zu bewerben.40 Während dieser Bemühungen starb Heinrich IV. kaum 33 Jahre alt, wahrscheinlich vergiftet durch Anhänger des gegnerischen Lagers.
Prof. Dr. Norbert Morciniec
Korzeniowskiego 1
55-120 Oborniki Śląskie
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1 Lech A. Tyszkiewicz, Śląsk przed lokacją i kolonizacją na prawie niemieckim [Schlesien vor der Lokation und Besiedlung nach deutschem Recht]. In: Księga Jadwiżańska, Wrocław 1995, S. 15ff. Ludwig Petry / Josef Joachim Menzel / Winfried Irgang (Hg.), Geschichte Schlesiens. 5. durchgesehene Auflage, Sigmaringen 1988, S. 65.
2 Werner Besch / Norbert Richard Wolf, Geschichte der deutschen Sprache, Berlin 2009, S. 181f.
3 Altrussisch oder altostslawisch nennt man die Sprache der in der Kiewer Rus lebenden Ostslawen im 10. – 13. Jahrhundert. Nach dem Zerfall der Kiewer Rus entwickelte sich in ihrem westlichen Teil, dem Großfürstentum Litauen, die ruthenische Schriftsprache, aus der später das Ukrainische, Weißrussische und Russinische entstanden ist.
4 Benedykt Zientara, Bolesław Wysoki, Tułacz, Repatriant, Malkontent [Boleslaus der Lange, Exilant, Heimkehrer, Nörgler]. Kraków 2008, S. 51.
5 Dorothea Klein, Mittelalter. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart, Weimar 2006, S. 100.
6 In der Kronika Wielkopolska [Großpolnische Chronik], Warszawa 1965, S. 140 ist in Bezug auf Agnes zu lesen: Mit Abscheu verspottete sie die Kleidung, das Schuhwerk und die Sitten der polnischen Ritter, ihren Gatten nannte sich einen Halbherzog. [Übers. N. M.]
7 Kazimierz Jasiński, Rodowód Piastów Śląskich [Genealogie der schlesischen Piasten]. Wydanie II poprawione, Kraków 2007, S. 75. Die Geburts- und Todesjahre der anderen Piasten ebenfalls nach Jasiński.
8 Zientara, Bolesław Wysoki (Anm. 4), S. 35ff.
9 Benedykt Zientara, Henryk Brodaty i jego czasy [Heinrich der Bärtige und seine Zeiten]. Warszawa 2006, S. 104.
10 Kazimierz Jasiński, Drugie małżeństwo Bolesława Wysokiego i niektóre aspekty koligacji Hohenstaufów z Piastami [Die zweite Heirat von Boleslaus dem Langen und einige Aspekte der verwandtschaftlichen Beziehungen der Hohenstaufen mit den Piasten]. In: Społeczeństwo Polski Średniowicznej Bd. 6, Warszawa 1994, S. 53ff.
11 Zientara, Henryk Brodaty (Anm. 9), S. 105. Winfried Irgang, Schlesien im Mittelalter. Siedlung – Kirche – Urkunden. Ausgewählte Aufsätze. Herausgegeben von Norbert Kersken und Jürgen Warmbrunn. Marburg 2007, S. 84ff.
12 Norbert Mika, Mieszko Książę Raciborski i Pan Krakowa [Mieszko Herzog von Ratibor und Herr von Krakau]. Kraków 2010, S. 38.
13 Mika, Mieszko książę Raciborski (Anm. 12), S. 78ff.
14 Zientara, Henryk Brodaty (Anm. 9), S. 107.
15 ebda, S. 107.
16 Zientara, Henryk Brodaty (Anm. 9), S. 109. [Übers. N. M.]
17 Colmar Grünhagen, Geschichte Schlesiens, Bd. 1, Gotha 1884, S. 55. Gelegentlich wird auch im späteren deutschen Schrifttum Heinrich I. als deutscher Herzog bezeichnet, z. B. in Petry/Menzel/Irgang, Geschichte Schlesiens (Anm. 1), S. 101 .
18 Frank Rexroth, Deutsche Geschichte im Mittelalter. 2. durchgesehene Auflage, München 2007, S. 9: „Ein «deutsches Volk», verstanden als eine durch gemeinsame Herkunft bestimmte Gemeinschaft aller Deutschen, hat es während des Mittelalters nicht gegeben, und strenggenommen machten die mittelalterlichen Reiche der Ottonen, Salier, Staufer etc, auch kein «deutsches Reich» aus.“
19 Joachim Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 2008, S. 665.
20 Jerzy Besala, Małżeństwa królewskie [Königliche Ehen]. Warszawa 2006, S. 147ff.
21 Piotr Rabiej, Henryk II Pobożny [Heinrich II. der Fromme]. In: Piastowie. Leksykon biograficzny, Kraków 1999, S. 394.
22 Walter Kuhn, Neue Beiträge zur schlesischen Siedlungsgeschichte, Sigmaringen 1984. Gundolf Keil, Josef Joachim Menzel (Hg.), Anfänge und Entwicklung der deutschen Sprache im mittelalterlichen Schlesien. Sigmaringen 1995 (Schlesische Forschungen 6).
23 Petry/Menzel/Irgang, Geschichte Schlesiens (Anm. 1), S. 337.
24 Zitiert nach: Roman Heck, Mentalność i obyczaje pierwszego księcia legnickiego Bolesława Rogatki [Mentalität und Sitten des ersten Liegnitzer Herzogs Boleslaus Rogatka]. In: Szkice Legnickie IX, 1976, S. 28. [Übers. N. M.]
25 Winfried Irgang, Der Beginn der staatlichen Zersplitterung Schlesiens 1248-1250. In: Irgang, Schlesien im Mittelalter (Anm. 11), S. 55-63.
26 Besala, Małżeństwa królewski (Anm. 19), S. 177.
27 Zum Folgenden: Andrzej Jureczko, Henryk III Biały Książę Wrocławski [Heinrich III. der Weiße Herzog von Breslau]. Kraków 2007.
28 Petry/Menzel/Irgang, Geschichte Schlesiens (Anm. 1), S. 115-116.
29 Hans-Joachim Behr, Heinrich von Breslau. In: Helmut Tervooren (Hrsg.), Gedichte und Interpretationen. Mittelalter. Stuttgart 1993, S. 71-86, hier S. 79. Heinrichs III. Mäzenat bestätigt auch Bumke , Höfische Kultur (Anm. 18), S. 667.
30 Tomasz Jurek, Konrad I Głogowski, studium z dziejów dzielnicowego Śląska [Konrad I. von Glogau, Studie über die Geschichte der Teiherzogtümer Schlesiens]. In: Roczniki Historyczne 54 , Poznań , Warszawa1988.
31 Przemysław Wiszewski, Henryk Probus i jego czasy [Heinrich Probus und seine Zeiten]. Wrocław 2002, S 2. Für das Folgende vergl. auch: Zbigniew Zielonka, Henryk Prawy [Heinrich Probus]. Katowice 1982.
32 Vergl. Anm. 29.
33 Winfried Irgang, Die Jugendjahre Herzog Heinrichs IV. von Schlesien (+1290). Quellenkritische Untersuchungen. In: Irgang, Schlesien im Mittelalter (Anm. 11), S. 64–84.
34 Bumke, Höfische Kultur (Anm. 18), S. 667. Vergl. auch: Dorothea Klein, Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, Stuttgart, Weimar 2006, S. 101.
35 Behr, Heinrich von Breslau (Anm. 27), S. 79.
36 Das Folgende nach Behr, Heinrich von Breslau (Anm. 27), S. 71- 86.
37 Vergl. Anm. 2.
38 Winfried Irgang, Das Urkunden- und Kanzleiwesen Heinrichs IV. von Schlesien (1270-1290). In: Irgang, Schlesien im Mittelalter (Anm. 11), S. 397- 446.
39 Besala, Małżeństwa Królewskie (Anm. 19), S. 217f. [Übers. N. M.]
40 Zielonka, Henryk Prawy (Anm. 28), S. 142 bestätigt, dass der Oppelner Herzog Wladislaus und seine Söhne die Bemühungen Heinrichs IV. um die polnische Königskrone tatkräftig unterstützten .