Norbert Morciniec
Zum Wortgut deutscher Herkunft in den polnischen Dialekten Schlesiens
Als Georg Wenker in den Jahren 1879–1887 seine Fragebogen an die Lehrer im damaligen Deutschen Reich versandte, hatte er in seinem Begleitschreiben ausdrücklich auch darum gebeten, in Gegenden, die von einer nichtdeutschen Bevölkerung bewohnt wurden, die Beispielssätze auch in deren Sprache zu übertragen. Auf diese Weise ist auch aus dem Gebiet Schlesiens eine Anzahl polnisch und mährisch beantworteter Fragebogen eingegangen, deren Herkunftspunkte Wenker durch besonders gekennzeichnete Ortskreise in seine Grundkarte aufgenommen hat. Das in diesen Fragebogen enthaltene, für die slawistische Forschung höchst wertvolle Sprachmaterial befindet sich im Archiv des Deutschen Sprachatlasses in Marburg und ist bis auf den heutigen Tag noch nicht ausgewertet worden. Es ist verständlich, dass für die deutsche Wortgeografie ausschließlich das deutsche Sprachmaterial von Interesse war und dass die Nachfolger Wenkers in weiteren Fragebogenerhebungen nur diesem Material ihre Aufmerksamkeit schenkten. So berücksichtigt dann auch der Deutsche Wortatlas (1) in den früheren deutschen Ostgebieten und zum Teil auf polnischem Sprachgebiet lediglich das Auftreten deutschen Wortgutes. Auch Günter Bellmanns Schlesischer Sprachatlas (2), der den sprachlichen Zuständen Schlesiens vor 1945 gewidmet ist, befasst
(1) W. Mitzka, L. E. Schmitt, Deutscher Wortatlas, 22 Bde., Gießen 1951–1980.
(2) G. Bellmann, Schlesischer Sprachatlas, Bd. 1: Laut- und Formenatlas; unter Mitarbeit von W. Putschke und W. Veith, Marburg 1967, Bd. 2: Wortatlas, Marburg 1965.
sich nur mit Spracherscheinungen der deutschschlesischen Dialekte, obwohl der Verfasser in seiner Einleitung den zweisprachigen Charakter Schlesiens ausdrücklich hervorhebt. Der Kritik der polnischen Linguistik (3), dass dadurch ein einseitiges Bild der sprachlichen Zustände in Schlesien gezeichnet worden ist, ist im Prinzip zuzustimmen; nur kann dem Verfasser des Schlesischen Sprachatlasses nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er etwas nicht darstellte, was er im Prinzip darzustellen nicht beabsichtigt hat. Bellmanns Schlesischer Sprachatlas ist kein Atlas der deutsch-polnischen Zweisprachigkeit, sondern ein Atlas der früheren deutschen Dialekte Schlesiens, und als solcher ist er für die deutsche Dialektologie ein sehr verdienstvolles Werk.
Für die polnischen Dialekte Schlesiens liegt nun der Atlas Językowy Śląska (AJS) von Alfred Zaręba vor, dessen sechs Bände in den Jahren 1969 bis 1980 erschienen sind (4). Er enthält 1250 Karten, wovon 1178 Wortkarten sind, die übrigen Karten sind Problemen der Phonetik und Wortbildung gewidmet. Die sprachlichen Erhebungen wurden in den Jahren 1961 bis 1966 in Direktaufnahmen in 58 ausgewählten Dörfern durchgeführt, deren Entfernung voneinander 23 bis 34 km beträgt. Von diesen Ortschaften befinden sich 50 innerhalb der heutigen polnischen Staatsgrenzen. Zu Vergleichszwecken wurden sieben Ortschaften in der nördlichen Tschechoslowakei herangezogen und ein Ort in der DDR (Lausitz). Die Erhebungen fanden in Ortschaften statt, deren ältere Einwohner noch die autochthonen polnischen Mundarten bewahrt hatten. Das ist im Prinzip das Gebiet östlich der Oder und ein etwa 30 km breiter Streifen westlich der Oder von Ratibor im Süden bis Brieg im Norden. Nicht berücksichtigt wurden diejenigen Gebiete Schlesiens, die nach 1945 neu besiedelt worden sind. Da es sich vor allem um ländliche Informanten handelt, betrifft das erfasste lexikalische Material grundsätzlich den Wortschatz des Bauern und des Handwerkers. In den Wortkarten wurden nur diejenigen Wörter berücksichtigt, die eine deutliche geografische Differenzierung aufwiesen. Das sind, wie gesagt, Bezeichnungen von insgesamt 1178 Denotaten. Unter diesen Bezeichnungen befindet sich eine verhältnismäßig große
(3) Vgl. A. Zaręba, Śląsk w świetle geografii językowej [Schlesien im Lichte der Sprachgeographie], Wrocław 1974, S. 25 ff.
(4) A. Zaręba, Atlas językowy Śląska [Sprachatlas Schlesiens], Bde. 1–6, Kraków 1969–1980.
Anzahl deutscher Lehnwörter und Lehnübersetzungen, die, geografisch differenziert, in den meisten Fällen neben indigenen polnischen Bezeichnungen auf treten. Die historisch gesellschaftlichen Verhältnisse in Schlesien, die auf einer 700-jährigen Nachbarschaft polnischer und deutscher Bevölkerung beruhen, sind die Ursache dafür, dass der größte Teil der deutschen Entlehnungen als Direktentlehnungen anzusprechen ist. Die soziologischen Voraussetzungen für diese Lehnwortübernahme in früher Siedlerzeit hat Günter Bellmann (5) ausführlich und überzeugend dargestellt.
Die von den schlesischen Herzögen planmäßig durchgeführte Siedlungstätigkeit, die den Landesausbau mit deutschen Siedlern einleitete, begann bereits im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Ihr erstes Anliegen war es, durch bäuerliche Siedlung die Grenzen Schlesiens zu sichern. So fanden auch die ersten Siedlungen im Gebiet des Grenzverhaus statt, dann erst drangen sie auch in das Innere Schlesiens vor. Auf diese Weise entstand in der Regierungszeit Heinrichs I. (1201–1238) und seines Sohnes Heinrich II. (1238–1241) im Bober-Queis-Gebiet und räumlich anschließend im Südwesten am Gebirgsrand ein breiter geschlossener Streifen deutscher Bauernhöfe, die den Kern für den deutschen Neustamm der Schlesier bildete. Deutsche Siedlungen entstanden auch auf Rodungsboden innerhalb des slawischen Siedlungsgebietes, so etwa im Dreieck Breslau – Liegnitz – Frankenstein. Auch schenkte der Herzog weite Ländereien an klösterliche Stiftungen (Trebnitz 1202, das erste Frauenkloster mit Zisterzienserinnen aus Bamberg; Heinrichau 1228, mit Mönchen aus Leubus, das seinerseits bereits 1175 von Herzog Boleslaus I. mit deutschen Zisterziensern aus Pforta/Saale gegründet wurde). Diese Klöster beteiligten sich ihrerseits auch an dem Landesausbau mit deutschen Siedlern. Ein weiteres Anliegen Herzog Heinrichs I. war die bessere Ausnutzung der Bodenschätze durch moderne Abbaumethoden deutscher Bergleute. Die beiden Bergbauorte Goldberg (1211) und Löwenberg (1217) sind die ältesten belegten deutschrechtlichen Städte Schlesiens.
(5) G. Bellmann, Slavoteutonica. Lexikalische Untersuchungen zum slawischdeutschen Sprachkontakt im Ostmitteldeutschen, Berlin 1971. Für das Folgende vgl. auch Handbuch der historischen Stätten, Bd. Schlesien, hrsg. Von H. Weczerka, Stuttgart 1977, darin H. Weczerka: Geschichtliche Einführung, S. XVI.
Neben den genannten Bergstädten entstanden weitere deutschrechtliche Städte als Mittelpunkte der Neusiedlungsgebiete. Bereits bestehende slawische Städte oder Marktorte wie Breslau, Neumarkt, Zobten und Ohlau erhielten deutsches Recht. Die von Heinrich I. geführte Siedlungstätigkeit wirkte sich über sein Herzogtum hinaus, sowohl nach Oberschlesien als auch weiter nach Kleinpolen aus. In den Oppelner Landesteilen wurde die deutsche Siedlung schon im zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts eingeleitet und unter Herzog Mieszko II. als Gegenmaßnahme gegen frühere Siedlungen der Herrscher von Böhmen und Mähren an der mährischen Grenze weitergeführt. Sein Bruder und Nachfolger Wladislaus I. (1246–1281) eröffnete der Kolonisation weitere Gebiete im Oppelner Land und später im Südosten Schlesiens bis südlich von Teschen und Bielitz. Neben der Ansiedlung von Deutschen erfolgte in Schlesien bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in verstärktem Maße auch die Umsetzung polnischer Dörfer und Städte zu deutschem Recht. Durch die Verleihung des deutschen Rechts an die polnische Bevölkerung, die den Polen die soziale Gleichstellung mit den deutschen Neusiedlern sicherte, kam es zu einer ethnischen Annäherung polnischen und deutschen Volkstums innerhalb einer Siedlungsanlage. Diesen Zustand spiegeln polnische und deutsche Doppelortsnamen wieder, die zu Beginn des 14. Jahrhunderts in den Quellen mehrfach auftreten, wie etwa Czadowacloda sive Cunczendorf (Kunzendorf, Kreis Groß Wartenberg, heute poln. Dziadowa Kłoda), Stiplow vel Herwigisdorf (Herwigsdorf, Kreis Freystadt, heute poln. Stypułów), Pambrovitz vel Cunradswaldt (Konradswaldau, Kreis Brieg, heute poln. Przylesie), Razula vel Lewenwalt (Lawaldau, Kreis Grünberg, heute poln. Racula)(6).Ebenso sind die sogenannten Mischnamen aus polnisch-deutscher Symbiose hervorgegangen, so etwa der aus deutschem Personennamen bestehende, mit polnischem patronymischen bzw. Possessivsuffix verbundene Ortsnamentypus, wie Syuridow, Siffridow (Seiferdau, Kreis Schweidnitz, heute poln. Zebrzydów), Ludgerowicz (Lückerwitz, Kreis Trebnitz, heute poln. Ludgierzowice), Belduinnowiczi, später Baldoweins Kreis Frankenstein, heute poln. Baldwinowice) (7). Bemerkenswert
(6) Liber fundationis Episcopatus Vratislaviensis, hrsg. Von H. Markgraf und J. Schulte (Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 14, Breslau 1889, B 206, B 131 und E 117, B 417, E 52.
(7) G. Bellmann, Slavoteutonica..., S. 7.
ist auch das für Oberschlesien bezeugte Vorkommen zweier Schulzen in einem Ort, eines polnischen und eines deutschen. Neusiedlungen wurden keineswegs nur von deutschen Lokatoren unternommen. Nach Friedrich Stumpe (8) hat im Oppelner Land die Leitung der Siedlung zum Teil in Händen polnischer Lokatoren gelegen; z. B. ist ein gewisser Boguchwal als Lokator bezeugt für Chrosczütz (1282), ein Bogusco für Poppelau (1304), ein Domoslaus für Falkowitz (1309). Auch ist ein vielfach unmittelbares Nebeneinander von älteren polnischen und neuen deutschen Siedlungen zu beobachten, was in den historischen Ortsnamen mit den unterscheidenden Zusätzen Polnisch-/Deutsch-, Alt-/Neu- und dergleichen zum Ausdruck gelangt, wie etwa: Sagor polonicale/Sagor theutonicale (Wendisch und Deutsch Sagar, Kreis Crossen, 1937 Boberhöh bzw. Bobertal, heute poln. Nowy Zagór und Stary Zagór), Hein- richsdorf polonicale Heynrichsdorf maius (Langheinersdorf, Kreis Sprottau, heute poln. Dlugie) (9). Der biethnische Charakter mancher Neusiedlungen kommt auch durch ausdrückliche Formulierungen in lateinischen Texten des 13. und 14. Jahrhunderts zum Ausdruck. So treffen wir in den Quellen Formulierungen an wie: sy sin Polen oder Dutsch (1280), oder später unter Bezug auf einheimische Verhältnisse: Dyese vorgeschribene rede gelobe wyr landlüwthe Polen und Duwcze gemeynlichen, dy do in deme wychbilde czu Glogow gesessen sind (1334) (10). Ein ähnliches Nebeneinander von Polen und Deutschen werden wir auch für andere Städte anzunehmen haben. Städte wie Beuthen, Oppeln, Ratibor, Breslau, Liegnitz und Trebnitz erhielten erst im 13. Jahrhundert deutsches Recht und sind als frühere Stadt- Marktsiedlungen ermittelt worden. Vor dem Beginn der deutschen Besiedlung waren diese Orte polnische Siedlungen, die erst später durch den Einzug deutscher Siedler einen biethnischen Charakter erhielten. Die Gründung neuer Städte sowie die Umsetzung bereits bestehender zu deutschem Recht wurden in der Regel mit der Anlage neuer Dörfer planmäßig verbunden, wodurch das sogenannte Weichbildsystem entstand mit einer Stadt als Zentrum und einem Kranz von wirtschaftlich mit ihr verbundenen Dörfern. Die innerhalb der Bannmeile einer Stadt gelegenen Dörfer bildeten mit der
(8) F. Stumpe, Der Gang der Besiedlung im Kreise Oppeln, Oppeln 1932.
(9) Liber fundationis..., E 16, E 17, E 83, E 84.
(10) Zitiert nach G. Bellmann, Slavoteutonica..., S. 7.
dazugehörigen Stadt eine Wirtschaftseinheit. Der kommunikative Verkehr innerhalb dieser Wirtschaftseinheit musste auf natürliche Weise zu einer Annäherung der polnischen und deutschen Bevölkerung führen und günstige Voraussetzungen für gegenseitige sprachliche Beeinflussungen gebildet haben. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts überzog ein Netz von etwa 130 Städten ganz Schlesien, wobei die Entfernung von Stadt zu Stadt etwa 15-20 km betrug. In dieser Zeit war die erste Siedlungsbewegung im Großen und Ganzen beendet. Angesichts der Tatsache, dass die ältere deutsche Wissenschaft den Nachdruck zum Teil nur auf die deutsche Siedlung gelegt hat, ist hervorzuheben, dass das Siedlungswerk in Schlesien von Deutschen und Polen gemeinsam vollbracht worden ist (11). Schlesien soll nach Berechnungen aufgrund der Peterspfenniglisten um die Mitte des 14. Jahrhunderts eine Bevölkerungsanzahl von fast einer halben Million gehabt haben. Abgesehen von einem am Gebirgsrand im Süden Schlesiens gelegenen Gebirgsstreifen mit geschlossener deutscher Siedlung auf Rodungsboden wird die Bevölkerung nördlich der Sudeten weitgehend ethnisch gemischt gewesen sein.
Angesichts gelegentlicher Interpretierungen der deutschen Ostsiedlung unter nationalen Gesichtspunkten ist hervorzuheben, dass einheimische schlesische Landesfürsten mit der Ansiedlung deutscher Kolonisten vor allem Ziele der wirtschaftlichen Förderung ihrer Länder verfolgten. Nationale Gesichtspunkte spielen in dem auf mittelalterlichem Universalismus basierenden Denken der damaligen politisch führenden Schichten noch keine Rolle. Gelegentlich auftretende Antagonismen beruhten an erster Stelle auf wirtschaftlichen und sozialen Widersprüchen und hatten ihre Ursachen nicht in sprachlich-ethnischen Gründen. Nationales Denken ist einer späteren Zeit vorbehalten (12).
Die Frage nach der Herkunft der schlesischen Siedler ist in der Fachliteratur mehrfach und nicht ohne Meinungsverschiedenheiten behandelt worden.
(11) W. Kuhn, Die Neugestaltung von Schlesien und Kleinpolen durch die mittelalterliche Ostsiedlung, in: ders.: Neue Beiträge zur schlesischen Siedlungsgeschichte. Eine Aufsatzsammlung (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte, Bd. 23), Sigmaringen 1984, S. 1–11.
(12) Vgl. P. Görlich: Zur Frage des Nationalbewusstseins in ostdeutschen Quellen des 12. bis 14. Jahrhunderts (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landes kunde Ostmitteleuropas, Nr. 66), Marburg 1964.
Sie ist mit den Namen einer Reihe von Wissenschaftlern verbunden, wie Karl Weinhold (13), Wolfgang Jungandreas (14), Theodor Frings (15), Walter Kuhn (16) und Ernst Schwarz (17). Nach heutigem Forschungsstand muss mit einem etappenmäßigen Vorrücken deutscher Siedler nach Osten gerechnet werden. Wichtigstes Durchgangsland für die Besiedlung Schlesiens war die Mark Meißen. Hier sieht Theodor Frings die Entstehung einer für das Schlesische maßgeblichen kolonialen Durchgangssprache, die von hier weiter nach Schlesien getragen wurde. Der überragende Anteil des Thüringisch-Obersächsischen am Gesamtschlesischen spricht dafür, dass die schlesische Kolonisation ihre Siedler zunächst aus dem meißnischen Nachbarland geholt hatte. Jungandreas’ Untersuchungen haben ergeben, dass an zweiter Stelle eine bedeutsame Einwirkung des Bairischen auf das Schlesische erfolgt ist, nachhaltiger am Sudetenrand und im Südosten Schlesiens als im Nordwesten. Der Siedlereinfluss der Hessen ergibt sich hauptsächlich am Gebirge von der Zittauer Gegend über die Grafschaft Glatz bis nach Oberschlesien. Die Hessen haben so einen Keil zwischen die thüringischobersächsische und die bairische Besiedlung getrieben. An vierter Stelle ist schließlich auch mit einem Vorstoß des Niederdeutschen in den nördlichen Teilen Schlesiens zu rechnen. Aus dem Vorstoß niederdeutscher Siedler nach Süden und Südosten lässt sich innerhalb des schlesischen Raumes die Abdrängung des normalerweise nach Osten gerichteten thüringisch-obersächsischen Siedlerstromes nach Südosten erklären.
Das Ergebnis dieser Siedlungen war die Umwandlung einer bisher einsprachig polnischen Bevölkerung Schlesiens in weiten Strichen in eine zweisprachige Bevölkerung. Neben im alten Zustand verharrenden polnischen Räumen lagen nun auch deutsche, die durch Neugründungen
(13) K. Weinhold: Die Verbreitung und die Herkunft der Deutschen in Schlesien, Stuttgart 1887.
(14) W. Jungandreas: Beiträge zur Erforschung der Besiedlung Schlesiens und zur Entwicklungsgeschichte der schlesischen Mundart (Wort und Brauch, Bd. 17), Breslau 1928; ders.: Zur Geschichte der schlesischen Mundart im Mittelalter, Breslau 1937.
(15) Th. Frings: Sprache und Siedlung im mitteldeutschen Osten, Leipzig 1932.
(16) W. Kuhn, Siedlungsgeschichte Oberschlesiens, Würzburg 1954.
(17) E. Schwarz, Sudetendeutsche Sprachräume, München 1962.
entstanden waren. Der entscheidende Faktor für einen sprachlichen Ausgleich war sicherlich in erster Linie die Sprache der regionalen Mehrheit. Aber auch die Sprache und Kultur des Gesamtterritoriums und der staatsführenden Schichten konnten mitwirken. Diese Kräfte waren in Niederschlesien seit dem Anschluss an Böhmen deutsch, in Oberschlesien dagegen vermochte sich der deutsche Einfluss nicht durchzusetzen. Im Endergebnis waren hier zu Beginn des 16. Jahrhunderts die meisten deutschsprachigen Siedlungen polonisiert. Im Innern Oberschlesiens konnten sich bis in die Neuzeit nur einige deutsche Sprachinseln behaupten: Kostenthal im Kreis Cosel, Schönwald bei Gleiwitz sowie die größeren Inseln von Katscher, Kreis Leobschütz, und Bielitz. In Niederschlesien dagegen, wo das Deutschtum durch die Siedlung zahlenmäßig das Übergewicht gewonnen hatte, verlief die Entwicklung umgekehrt, als fortschreitende Verdeutschung. Aber auch hier blieben bis ins 19. Jahrhundert Reste polnischsprachiger Bevölkerung bestehen, vor allem in der Gegend um Grünberg und in der Ackerbauebene südöstlich von Breslau (18). Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg hat Stanisław Bąk Reste polnischer Dialekte in Niederschlesien untersucht und aufgrund seiner Aufzeichnungen eine Bearbeitung der polnischen Volksdialekte Schlesiens vorlegen können (19).
Dem Übertritt einer Sprachgemeinschaft zur Sprache der anderen Sprachgemeinschaft geht in der Regel eine länger andauernde Phase der Zweisprachigkeit voraus, die für die direkte Übernahme sprachlichen Lehngutes besonders günstig ist. Zweisprachig konnten je nach den dominierenden sprachexternen Faktoren sowohl Gruppen der polnischen als auch der deutschen Bevölkerung werden, sodass dann auch die sprachlichen Beeinflussungen in beiden Richtungen verliefen. Bei der Polonisierung deutscher Siedlergruppen in Oberschlesien könnten diese einen Teil ihres deutschen Wortschatzes bewahrt und ihn dann an ihre neue Sprache weitergegeben haben. Dieses Wort gut wäre dann nicht mehr als Entlehnungen, sondern
(18) Vgl. G. Bellmann, Slavoteutonica..., S. 18 ff.; S. Bąk, Mowa polska na Śląsku [Die polnische Sprache in Schlesien], Wrocław 1974; S. Rospond, Dzieje polszczyzny śląskiej [Geschichte der polnischen Sprache in Schlesien], Katowice 1959; ders., Polszczyzna Śląska [Das Polnische in Schlesien], Wrocław 1970.
(19) S. Bąk, Gwary ludowe na Dolnym Śląsku [Die Volksmundarten in Niederschlesien], Poznań 1956.
als sprachliche Relikte der aufgegebenen deutschen Dialekte zu verstehen. Heute lassen sich aber die direkten Entlehnungen von den Reliktwörtern nicht mehr unterscheiden.
Der älteren Lehnwortübernahme der frühen Nachkolonisationszeit, die überwiegend oder ausschließlich mündlich auf dialektaler Basis erfolgte, ist eine Gruppe jüngerer Entlehnungen gegenüberzustellen, die nicht mehr aus den deutschen Dialekten, sondern aus der deutschen Umgangssprache übernommen wurde (20). Die sprachexternen Voraussetzungen beruhten im polnischsprachigen Oberschlesien seit der preußischen Zeit einerseits auf sprachpolitischen Einflüssen des preußischen Staates, der durch Schule, Militärdienst und Verwaltung einen Germanisierungsprozess einleitete, der nach der Vereinigung Deutschlands unter Bismarck an besonderer Schärfe gewann. Die weitaus wichtigere Voraussetzung aber, die der deutschen Sprache in Oberschlesien wieder zum Durchbruch verhalf, war die allmähliche Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse (21). Die Entwicklung der Industrie führte zur Binnenwanderung und Menschenkonzentration im Industriegebiet. Der seit der Jahrhundertwende ständige Zustrom von Verwaltungsbeamten und Gewerbetreibenden aus deutschen Gebieten, vor allem aus Niederschlesien, hatte eine zunehmende Eindeutschung der oberschlesischen Städte zur Folge. An diesem Prozess nahmen auch große Teile der einheimischen polnischsprachigen Bevölkerung teil, die in ihrem Bestreben nach sozialem Aufstieg zunehmend im öffentlichen Leben zum Gebrauch der deutschen Sprache übergingen. Auf diese Weise kam es zur Entstehung einer mit Polonismen stark durchsetzten
(20) R. Olesch, Die polnische Sprache in Oberschlesien und ihr Verhältnis zur deutschen Sprache, in: Schlesien XXIV (1979), H. 1, S. 14–24.
(21) Vgl. N. Reiter, Die polnisch-deutschen Sprachbeziehungen in Oberschlesien, Berlin 1960, S. 36 ff.
deutschen Umgangssprache, die zur Ausgangsbasis deutscher Entlehnungen in die polnischen Dialekte werden konnte. Dabei wirkte sich begünstigend aus, dass die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts sprunghaft entwickelnde Industrie in verstärktem Maße auch Arbeiter aus der ländlichen polnischsprachigen Umgebung heranzog, die dann, den Kontakt mit dieser Umgebung nicht aufgebend, den ländlichen polnischen Dialekten deutsche umgangssprachliche Elemente weiter vermitteln konnten. Diese Entlehnungen, die aus den erwähnten deutsch-polnischen Verhältnissen resultieren, sind nicht älter als etwa 150 Jahre und bilden keine Fortsetzung der für das Mittelalter beschriebenen sprachlichen Beziehungen.
Das Alter eines Lehnworts lässt sich im Einzelfall oft durch seine Beteiligung an den zeitlich bestimmbaren Stufen der historischen Lautentwicklung der Nehmersprache bestimmen. Es ist dieses Kriterium, das uns auch erlaubt, zeitlich differenzierbare Mehrfach- und Rückentlehnungen zu erfassen. Auch für die Erkenntnis zweitsprachiger Vermittlung deutscher Lehnwörter in die polnisch-schlesischen Dialekte sind die erwähnten Lautveränderungen wichtige Anhaltspunkte. Für die Vermittlung deutscher Lehnwörter durch andere Sprachen kommen vor allem sorbische sowie mährische Dialekte in Betracht. Das gegenseitige Aufeinanderwirken zweier Sprachen im biethnischen Kontakt, die sprachliche Interferenz, erfolgt grundsätzlich auf allen Sprachebenen: im phonetisch-phonologischen System, in der Morphemik, in der Syntax ein schließlich der Satzintonation sowie im Wortschatz. Doch erreicht die Interferenz das Stadium der sprachlichen Integration nicht auf allen Sprachebenen in gleicher Weise. Das hängt offenbar mit der festeren bzw. lockeren Strukturierung der sprachlichen Teilsysteme zusammen. Am festesten strukturiert und in sich geschlossen ist das phonetisch phonologische Teilsystem. Dieses leistet der sprachlichen Integration den stärksten Widerstand. Den geringsten Grad der Strukturierung besitzt der Wortschatz, der als Ganzes genommen eigentlich kein System mehr darstellt, sondern bestenfalls systemhafte Züge aufweist. Dieses offene, schwach strukturierte lexikalische System ist dasjenige Teilgebiet der Sprache, das der sprachlichen Integration den schwächsten Widerstand leistet. Phoneme werden im bilingualen Sprachkontakt nicht integriert, das heißt aus der L2 (der Gebersprache) in die L1 (die Nehmersprache) nicht übernommen, sie werden vielmehr in der Nehmersprache durch einheimische Spracheinheiten substituiert. Der L1-Sprecher realisiert ein Wort der Sprache L2 in allen Fällen mit den artikulatorisch nächststehenden Lauten seiner eigenen Sprache unter Berücksichtigung der in seiner Sprache geltenden Gesetze der Lautkombinatorik und Akzentuierung. Gelegentlich auftretende Übernahmen fremder Laute haben immer nur parole-Charakter und betreffen nicht das Sprachsystem. Phoneme werden im Prinzip nicht als Einzelelemente in eine andere Sprache übernommen, sondern immer nur als Gesamtheit, als ganzes phonologisches System. Dann haben wir es aber nicht mehr mit sprachlicher Integration zu tun, sondern mit Sprachwechsel, und dieser Prozess verläuft dann nicht nur auf der phonologischen Ebene, sondern auf allen Sprachebenen zugleich. Eine eingehende Untersuchung der Gesetzmäßigkeiten der phonologischen deutsch-polnischen Substitution im Schlesischen steht derzeit noch aus. Sie kann erst nach einer umfassenden Analyse der lexikalischen Entlehnungen im Polnisch-Schlesischen geleistet werden. Auch Flexionsmorpheme werden nicht in die Nehmersprache integriert, sondern durch einheimische Einheiten substituiert. Auch hier muss eine vollständige Darstellung der Gesetzmäßigkeiten der morphologischen Substitutionen einer späteren Zeit vorbehalten bleiben, doch lassen sich schon jetzt aufgrund von ausgewählten Lehnwortübernahmen einige Tendenzen dieser Substitution darstellen.
Deutsche maskuline Substantive mit Nullmorphem werden, falls sie im Polnisch-Schlesischen als Maskulina erscheinen, endungslos übernommen, z. B.: der Buckel – ten bukiel, der Fuchs – ten fuks, der Deckel – ten dekiel, der Flieder – ten flider, der Schrank – ten šrank, der Mantel – ten mantel. Werden sie als Feminina übernommen, so erhalten sie die für die polnisch-schlesischen Feminina charakteristische Endung -a, z. B.: der Balken – ta belka, der Schuppen – ta šopa, der Socken – ta zoka, der Schinken – ta šynka, der (Papier-)Bogen – ta bouga. Als Neutra übernommene deutsche maskuline Substantive erhalten die Endung -o: der Lärm – to larmo, der Eimer – to aimro. Gelegentlich treten als Entsprechung deutscher maskuliner
Substantive maskulin-feminine Dubletten auf: der Fasan – ten fazan, ta fazana; der Karpfen – ten karp, ta karpa; der Schwan – ten šfan, ta šfona. Als maskulin neutrale Dublette gilt: der Eimer – ten aimer, to aimro (die letzte Form in An lehnung an das polnische Neutrum to wiadro „der Eimer“). Feminine deutsche Substantive mit Nullmorphem werden ins Polnisch-Schlesische überwiegend als Feminina entlehnt und erhalten dann die für polnische Feminina charakteristische Endung -a: die Bleiche – ta blaicha, die Krücke – ta kryka, die Schaufel – ta šufla, die Tomate – ta tomata, die Waage – ta woga. In einigen Fällen entsprechen deutschen femininen Substantiven polnisch-schlesische Maskulina, die dann entsprechend den einheimischen Gesetzmäßigkeiten endungslos auftreten, etwa die Luft – ten luft, die Wurst – ten wuršt. Den meisten deutschen neutralen Substantiven entsprechen im Schlesisch-Polnischen endungslose maskuline Formen: das Frühstück – ten fryštyk, das Grünzeug – ten grincaik, das Paket – ten pakiet, das Häusel – ten haziel „der Abort“. Weniger zahlreich sind die neutral-femininen Entsprechungen: das (Kuchen-) Blech – ta blacha, das Kamel – ta kamela, das Schnupftüchel – ta šnuptychla. Gelegentlich treten als Entsprechung deutscher neutraler Substantive maskulin-neutrale Dubletten auf: das Futter „Futterstoff“ – ten futer, to futro.
Auch bei der Entlehnung von Verben werden Flexionsmorpheme durch entsprechende einheimische Morpheme substituiert. So ersetzt die deutsche Infinitivendung -en in den meisten Fällen das polnisch-schlesische -ować (-uwać): bleichen – blaichować, bügeln – biglować, fehlen – falować, erben – erbować, heizen – haicować, retten – ratować. Vereinzelt tritt die Infinitivendung -ać und -ić auf: klopfen – klupać, färben – farbić.
Durch die Substitution von Phonemen und Flexionsmorphemen werden deutsche lexikalische Einheiten den morphologischen Wortklassen der Nehmersprache angepasst. Sie werden dadurch zu neuen Einheiten dieser Wortklassen und fungieren dann in der Nehmersprache nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie einheimische Wörter.
Durch Substitution von Ableitungsmorphemen, zu deren Besprechung wir nun übergehen, entstehen in der Nehmersprache hybride (morphemisch gemischte) Bildungen, die aus einem frem den lexikalischen Morphem und einem einheimischen Ableitungsmorphem bestehen. Bei der Entlehnung deutscher abgeleiteter Wärter ins Polnisch-Schlesische muss unterschieden werden zwischen analytischen und synthetischen Entlehnungen. Analytische Entlehnungen entstehen, wenn das deutsche Derivat von den Sprechern der Nehmersprache als Ableitung erkannt wird, wobei nur das fremde lexikalische Morphem in die Nehmersprache übernommen wird, das Ableitungsmorphem dagegen durch ein einheimisches Morphem ersetzt wird. Diesen Prozess der analztischen Entlehnung illustrieren deutschßpolonische Entsprechungen, die Berufsbezeichnungen darstellen, z. B. der Gräber - graboš, der Pfarrer - faroš, der Schleifer - šlaifoš, der Schlosser - šlusoš. Bei synthetischer Entlehnung dagegen wird das deutsche Derivat als Ganzheit mit seinem deutschen Abkeitungsmorphem übernommen wird, wobei das entlehnte Derivat in der Nehmersprache als Einzelmorphem fungiert. Beispiele aus derselben Klasse der Berufsbezeichnungen sind etwa: der Förster - fešter, der Klempner - klympner, der Richter - rychter. Ein deutsches Derivat kann sowohl synthetisch als auch analytisch zugleich übernommen werden, vergleiche dt. der Gärtner – poln. gatnoš und gertner; dt. der Schleifer – poln.šlaifoš und šlaifer; dt. der Schlosser – poln. šlusoš und šloser. Der analytische Entlehnungstypus ist charakteristisch für den älteren deutsch-polnischen Sprachkontakt. Entlehnungen dieser Art weisen eine stärkere Integration in der Nehmersprache auf als die synthetischen Entlehnungen.
Eine stärkere Integration deutscher Lehnwörter in die Nehmersprache wird auch erreicht durch Übernahme deutscher simplexer Formen in der Gestalt von Derivaten. So entspricht dt. die Schale – poln. šolka „die Tasse“, dt. das Feuer – poln. foiyrka, dt. die Schippe – poln. šipka. In anderen Fällen existieren polnisch-schlesische entlehnte Simplizia neben Derivationsformen ohne semantischen Unterschied nebeneinander, etwa dt. die Tüte – poln. tyta und tytka, dt. der Bunzel (-topf) – poln. buncel und bunclok.
Verschiedene Grade der Integration sind auch bei der Entlehnung deutscher Wortzusammensetzungen zu beobachten. Da haben wir einerseits die große Menge entlehnter Komposita, die in der Nehmersprache nur geringfügig von der originellen Lautform abweichen, etwa dt. der Bleistift – poln. blaiśtyft, dt. der Briefträger – poln. briftreger, dt. das Frühstück – poln. frištik, dt. die Federbüchse – poln. federbiksa, dt. das Futtermehl – poln. futermel, dt. der Rechtsanwalt – poln. rechcanwalt. Eine semantisch-morphologische Motivierung der Zusammensetzung in der Nehmersprache ist selbstverständlich nur möglich bei bilingualen Individuen. Dass solch eine Motivierung in der Tat vorkommt, davon zeugen hybride Zusammensetzungen in der Nehmersprache als Entsprechungen deutscher Komposita, z. B. dt. die Schwiegermutter – poln. šwigermuter neben šwigermatka (poln. matka „Mutter“), dt. der Schwiegervater – poln. šwigerfater neben šwigeruociec (poln.schles. uociec „Vater“). Die Substitution der deutschen Komponente -mutter durch das ein heimische -matka ist nur möglich, wenn Sprecher der Nehmersprache imstande sind, deutsche Komposita analytisch als solche zu erkennen. Im weiteren Verlauf des Sprachgebrauchs können entlehnte Komposita ihre Lautform so weit verändern, dass sie dann auch für bilinguale Sprecher unmotiviert werden; man vergleiche etwa dt. die Schlittschuhe mit poln. šlytšuuy, das sich weiter zu šlycuchy entwickelte, oder dt. der Pfannkuchen mit poln. fankuch, das zur völlig unmotivierten Form pampuch wurde.
Eine weitere Möglichkeit der Entlehnung deutscher Komposita ist ihre Umbildung in polnisch-schlesische Derivate. Entlehnt werden in diesem Fall nur die ersten Kompositionsglieder, die zweite Konstituente dagegen wird durch ein einheimisches Derivationsmorphem substituiert. Beispiele, die diese Art der Integration illustrieren, wären etwa: dt. die Sicherheitsnadel – poln. zicheraicka und die zusammengeraffte Form zicherka, dt. die Leberwurst – poln. leberka mit dem Derivationsmorphem -ka, dt. das Erbteil – poln. erbizna mit dem Deriv filcouki (Plur.) mit dem Derivationsmorphem -ouk, dt. die Pudelmütze – poln. pudlufka mit dem Derivationsmorphemorphem -ufka.
Substitution der Derivationsmorpheme tritt auch bei Entlehnungen deutscher Adjektive auf, die auf diese Weise in das polnischschlesische System der Adjektive integriert werden. Als Beispiele, die das Gesagte veranschaulichen, gelten etwa: dt. bucklig – poln. puklaty, dt. gestreift – poln. śtraifaty oder śtryfaty, dt. braun – poln. brunatny oder bruny, dt. einfach – poln. ainfachowy, dt. blechern – poln. plechowy, dt. falsch – poln. faušywy oder fauečny, dt. dick – poln. dyki.
Im deutsch-polnischen Sprachkontakt in Schlesien kommt es gelegentlich zu Rückentlehnungen schon entlehnter Wörter aus einer Sprache in die andere. Ein interessantes Beispiel bietet in dieser Hinsicht die polnisch-schlesische Bezeichnung für den Pfifferling: galuška. Dieses Wort ist eine hybride Bildung und besteht aus dem deutsch-dialektalen gal „gelb“ (vgl. Galchen, Gelbchen) und zwei polnischen Diminutivmorphemen -uš sowie -ka. Die in den Kreisen Neustadt (Oberschlesien) und Kempen (Großpolen) belegte Form galuś ist nach Bellmann (22) eine polonisierte Variante der durch die Kolonisation nach Schlesien eingebrachten ostsächsi- schen Form Gelbchen [ga:lçn]. Dieses galuś wurde im deutsch-polnischen Sprachkontakt in der Form Galusch in das Deutsch-Schlesische rückentlehnt.. Da diese Form im Deutsch-Schlesischen als Einzelmorphem und nicht als Derivat fungierte, konnte zu ihr die Verkleinerungsform Galuschel gebildet werden. Dieses Galuschel wurde nun zur Basis einer neuen Entlehnung ins Polnisch-Schlesische, wobei das Diminutivmorphem -el durch polnisches -ka substituiert wurde und im Endeffekt polnisch-schlesisches galuška ergab.
Eine ähnliche Entlehnungsgeschichte hat das polnisch-schlesische Lehnwort šmaterlok „Schmetterling“. Nach Kluge (23) liegt
(22) G. Bellmann, Slavoteutonica..., S. 82.
(23) F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 18. Aufl., bearbeitet von W. Mitzka, Berlin 1960, S. 664.
dem deutschen Schmetterling das aus dem Tschechischen smétana „Sahne“ entlehnte ostmitteldeutsche Schmetten zugrunde. Im Deutsch-Schlesischen tritt Schmetterling in der Form von Schmatterlich auf, das die unmittelbare Quelle für polnisch-schlesisches šmaterlok darstellt. Šmaterlok ist eine analytische Entlehnung, an die Stelle des deutschen Derivationssuffixes -lich trat einheimisches -lok. Damit ist die Geschichte der Wanderungen dieses Wortes noch nicht zu Ende. Polnisch-Schlesisches šmaterlok wurde nämlich wieder ins Deutsch-Schlesische rückentlehnt, diesmal in synthetischer Form als Schmaterlock, eine Form, die Mitzka in seinem Schlesischen Wörterbuch verzeichnet.
Die Entlehnung fremder lexikalischer Einheiten führt in allen Fällen zu einer Bereicherung des Wortschatzes der Nehmersprache. Es müssen zwei Fälle dieser Bereicherung unterschieden werden. Im ersten Fall wird eine fremde Einheit zur Bezeichnung eines Denotats übernommen, für das es in der Nehmersprache bisher keine einheimische Bezeichnung gab. Die Sprachgemeinschaft der Nehmersprache wird mit neuen Erscheinungen der anderen Sprachgemeinschaft konfrontiert, die sie bisher nicht gekannt hat und die sie sich samt der fremden Bezeichnung aneignet. Im zweiten Fall gibt es in der Nehmersprache bereits eine einheimische Bezeichnung für ein Denotat, dessen fremde Bezeichnung als Lehnwort übernommen wird. Auf diese Weise kommt es in der Nehmersprache zur Entstehung semantischer Dubletten, bedeutungsgleicher Doppelwörter, die eine Zeit lang undifferenziert nebeneinander bestehen können. Dieser Zustand ist als Übergangszustand aufzufassen. Eine Sprachgemeinschaft duldet auf längere Zeit keine semantischen Dubletten. Entweder schwindet eines der Doppelwörter, in den meisten Fällen daseinheimische, indem es zuvor das zusätzliche semantische Merkmal „veraltet“ an nimmt, oder aber es kommt zu einer semantischen Differenzierung beider Wörter. Das sprachliche Material des AJS (=Atlas Językowy Śląska) bietet zahlreiche Beispiele solcher Entwicklungen. Im Kommentar zur Karte 43 „Laufschiene des Schlittens“ werden für den Ort Stolzmütz (poln. Tłustomosty) im Kreis Leobschütz zwei Bezeichnungen angegeben: indigenes sanice (zu sanie „Schlitten“) sowie aus dt. die Kufe entlehntes kufy (als Pluralform). Beide Bezeichnungen bestehen in demselben Ort nebeneinander, doch wird von den Informanten sanice als älteres Wort, kufy dagegen als neueres Wort bezeichnet, was darauf hinweist, dass beide Tautonyme sich durch das konnotative Merkmal ± archaisch unterscheiden. Karte 57 „Pferdeleine’’’ gibt für den Ort Sabine (1936Annahof, poln. Sowin), Kreis Falkenberg, zwei Bezeichnungen an: einheimisches puowotki (zu powodzić „leiten“) sowie entlehntes lainy (dt. Leine). Beide Bezeichnungen unterscheiden sich in ihren konnotativen Merkmalen: puowotki bestehen aus Stricken, lainy dagegen aus Lederriemen. Auf Karte 84 „Mais“ sind für viele Ortschaften zwei Bezeichnungen registriert worden: kukurydza und mais. Kukurydza bezieht sich auf den gelben Speisemais, dagegen mais ist der weiße Futtermais. Ebenso spezifiziert sind andere Doppelwörter, etwa kryka (dt. Krücke) „Spazierstock eigener Produktion“, loska (poln. laska) „fabrikmäßig hergestellter Spazierstock“ (Karte 117). Als Bezeichnung der Sandschaufel (Karte 314) gelten einheimisches uopata „breite flache Sandschaufel“ sowie entlehntes šipa dt. Schippe) „breite Sandschaufel mit seitlich hochgebogenen Rändern“.
Auch im verbalen Bereich kommen konnotativ spezifizierte Dubletten vor, etwa einheimisches polić, „im Ofen heizen“ sowie entlehntes chaicować (dt. heizen) „intensiv heizen“.
Eine weitere Möglichkeit der Bereicherung des eigenen Wortschatzes im bilingualen Kontakt besteht darin, dass Sprecher einer Sprache semantische oder morphologische Strukturen der anderen Sprache mit Mitteln der eigenen Sprache reproduzieren. Wir unterscheiden mit Bellmann: semantische Reproduktionen und syntagmatische Reproduktionen. Erstere finden statt, wenn die fremde Bezeichnung eines Denotats durch eine einheimische äquivalente semantische Einheit ersetzt wird, etwa wenn dt. die Birne „Glühbirne“ durch poln.-schles. gruška ersetzt wird (poln. gruszka Ess-„Birne“), wenn anstelle von dt. der Morgen „Flächenmaß“ poln.-schles. iutro gebraucht wird (poln. jutro „Morgen“ [Tageszeit]), oder wenn der Blumenbezeichnung dt. Stiefmütterchen„viola tricoloris“ poln.-schles. macoška entspricht (poln. macocha „Stiefmutter“ + Diminutivmorphem -ka).
Bei syntagmatischer Reproduktion dagegen wird eine morphologische oder syntaktische Struktur übernommen und mit einheimischen Lexikoneinheiten gefüllt. Bei poln.-schles. tišlouš als Entsprechung von dt. Tischler haben wir es mit einer analytischen Lehnwortübernahme zu tun, bei der das Derivations morphem -er durch das einheimische Morphem zur Bezeichnung des Nomen Agentis -ouš substituiert wird. Wird dagegen auch das deutsche lexikalische Morphem Tisch durch sein polnisches Äquivalent stół übersetzt und als Ergebnis poln.-schles. stol-ouš erscheint, so hätten wir es mit einer syntagmatischen Reproduktion zu tun. In diesem konkreten Fall ist es jedoch wahrscheinlicher, indigene Herkunft der Struktur anzunehmen, da im Polnisch-Schlesischen der Strukturtypus Substantiv + Derivationsmorphem -ouš durchaus produktiv ist. Dagegen wäre etwa poln.-schles. listonoš eine rein syntagmatische Reproduktion von dt. Briefträger (vgl. poln. list „Brief“, nosić „tragen“). Daneben existieren bei der Kompositaentlehnung auch syntagmatische Teilreproduktionen, so etwa, wenn dt. Sicherheitsnadel als schles.-poln. zichaicieguo entlehnt wird (poln.-schles. ieguo „Nadel“) oder wenn – wie schon erwähnt – Schwiegervater und Schwiegermutter im Polnisch- Schlesischen als šfigeruociec bzw. šfigermatka übernommen werden. Als syntagmatische Reproduktionen müssen auch die polnisch- schlesischen Zahlwörter jedendwadzieścia, dwadwadzieścia (einundzwanzig usw.) angesehen werden. Die entsprechenden polnischen Zahlwörter folgen hier dem Strukturtyp dwadzieścia jeden (zwanzig und eins). Schließlich finden wir gelegentlich auch Entlehnungen einer syntaktischen Struktur mit Substitution der fremden lexikalischen Morpheme durch einheimische Einheiten. Als Beispiel gilt etwa poln.-schles. ty maš prawie als Entsprechung von dt. „du hast recht“.
Es ist hervorzuheben, dass die Erkenntnis der semantischen und syntagmatischen Reproduktionen dadurch wesentlich erschwert wird, dass sie an der integrierten Einheit selbst nicht erkennbar ist und dass es zu ihrer Feststellung in jedem Einzelfall nötig ist, das zugrunde liegende Strukturmuster der interferierenden Sprache nachzuweisen.
Eine Gesamtdarstellung der deutschen Lehnwörter in den polnisch- schlesischen Dialekten ist nach heutigem Forschungsstand nur bedingt möglich. Dem dreibändigen Schlesischen Wörterbuch von Walter Mitzka (24) hat die polnische Dialektologie bisher keine synthetische Bearbeitung des polnischschlesischen Wortschatzes gegenüberzustellen. Die in den sechziger Jahren von Stanislaw Bąk und Stanislaw Rospond begonnenen Arbeiten an einem polnisch-schlesischen Wörterbuch sind durch den Tod beider Verfasser unterbrochen worden und wurden lange Zeit nicht weitergeführt (25).
(24) W. Mitzka, Schlesisches Wörterbuch, 3 Bde., Berlin 1963–1965.
(25) Die von ihnen hinterlassene Kartei, die sich im Schlesischen Institut in Oppeln [Instytut Śląski w Opolu] befindet, umfasst ca. 200 000 polnisch-schlesische Wörter. Erst im Jahre 2000 erschien der erste Band: Słownik Gwar Śląskich, Band I (A - Beczka) unter wissenschaftlicher Redaktion von Bogusław Wyderka, Opole 2000.
Für zwei Ortschaften liegen Erfassungen des polnisch-schlesischen Wortschatzes vor, für Alt Schalkowitz im Kreis Oppeln (26) sowie für St. Annaberg in Oberschlesien (27). Unter diesen Umständen scheint es zweckmäßig zu sein, den Untersuchungen des Wortschatzes deutscher Herkunft zuerst einmal den im polnisch-schlesischen Sprachatlas von Alfred Zaręba erfassten Wortschatz zugrunde zu legen. Dieser Sprachatlas verzeichnet auf 1178 Wortkarten über 300 Bezeichnungen deutscher Herkunft, deren systematische Erforschung einen Beitrag zur Erkenntnis der Integrationswege deutscher Lehnwörter in den polnisch-schlesischen Dialekten zu leisten vermag.
Der schlesische Siedlungsraum bietet ein klassisches Beispiel historisch geprägter Nachbarschaft. In einer Mittelalter und Neuzeit umfassenden Kolonisationsbewegung ist hier das Deutsche vorgedrungen, vorwiegend auf polnischsprachigem Gebiet, hat dabei Wortgut an die einheimische Bevölkerung abgegeben und zugleich auch, vor allem in mundartlichen Bereichen, vieles aus dem Polnischen, aber auch aus dem Tschechischen und Sorbischen übernommen. Immerhin haben erste Ermittlungen ergeben, dass das Schlesische Wörterbuch von Walter Mitzka über 1200 slawische, überwiegend polnische Entlehnungen enthält. Im sprachlich-kulturellen Kontakt ist der Gebende zugleich auch der Nehmende. Und so wartet auch das slawische Wortgut im Deutsch-Schlesischen noch auf eine systematische Darstellung und kulturgeschichtliche Interpretation.
(26) A. Zaręba, Słownik Starych Siołkowic w powiecie Opolskim [Wörterbuch von Alt Schalkowitz im Kreis Oppeln], Kraków 1960.
(27) R. Olesch, Der Wortschatz der polnischen Mundart von St. Annaberg, Teile 1–2, Wiesbaden 1958–1959.
(Überarbeitete Versioneines eines gedruckten Artikels in: Zeitschrift für Ostforschung 38/1989, S. 321 - 336).